Singende Männer öffnen Horizonte
Tag der Männerstimme „Männerchor plus“ im Nürtinger K3N gab Impulse verschiedenster Art
Ein Bericht von Heike Weis
Wer hätte gedacht, dass Männerchorgesang so vielfältig sein kann? Sänger, Chorleiter und auch einige Chorleiterinnen holten sich am Samstag beim Tag der Männerstimme des Schwäbischen Chorverbandes Anregungen, wie die Männerchöre von heute ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen können. Statt über den steigenden Altersdurchschnitt zu lamentieren, solle auf neue Kooperationen, alternative Präsentationsformen und auch beim Bewährten auf Qualität gesetzt werden, so die Kernaussage des Tages.
Es war ein Tag der Kontraste: Vom Kindergartenkind bis zum Seniorenchor, vom Volkslied bis zum Rap, vom bühnenfüllenden Projektchor bis zum A-cappella-Ensemble war an diesem Tag fast alles zu hören oder zu erproben, was man sich so im weitesten Sinne unter Männergesang vorstellen kann. Dabei ging es aber nicht um die Aneinanderreihung verschiedener Gruppierungen, sondern vorrangig um die Kombinationsmöglichkeiten, war doch der Tag mit „Männerchor plus“ überschrieben. Im gastgebenden Chorverband Karl-Pfaff (mit Unterstützung des Chorverbandes Ludwig Uhland) wird unter Federführung von Joachim Schmid schon seit längerer Zeit auf diesem Feld experimentiert, und so war es naheliegend, die Veranstaltung nach Nürtingen zu holen.
Zunächst standen die 96 Workshop-Teilnehmer vor der Qual der Wahl. Immer wieder war zu hören, dass man gerne mehr als nur maximal zwei der elf Angebote wahrgenommen hätte und manches in der Kürze der Zeit nur gestreift werden konnte. Es stand aber nun mal nur ein Tag zur Verfügung und Ziel war es ja, im Männerchor dringend benötigte Impulse zu geben. Udo Goldmann, Präsident des Chorverbandes Karl Pfaff ging sogar noch weiter: „Wir hoffen, einmal sagen zu können, an dem Tag in Nürtingen haben wir einen Meilenstein gesetzt.“
In seinem Impulsreferat erinnerte Dieter Aisenbrey an die medizinische Bedeutung des Singens. Erwiesenermaßen leiden regelmäßig im Chor singende Menschen wesentlich seltener an Altersdemenz oder gar der Alzheimer-Krankheit. „Ich musste feststellen, dass viele Ärzte diese Zusammenhänge nicht kennen. Wie sollen es dann die Politiker wissen? Wie soll es in die Grundschulen gelangen?“ Botschafter können unter anderem Männerchöre sein: Im Workshop „Zirkus Paradiso“ ließen sich zahlreiche Zuschauer von den Zirkusliedern vom Männerchor des TSuGV Großbettlingen und dem Kindergarten „Panti“ mitreißen, mal im Wechsel, mal gemeinsam gesungen, mit großen und kleinen Solisten und Männern, die vergnügt in Zirkusrollen schlüpften. In der Kreuzkirche gab Bertram Schattel zugleich seine Erfahrungen aus dem Zusammenwirken des Projektknabenchores der Musik- und Jugendkunstschule Nürtingen mit Männern der Liederlust Ohmden und des Sängerbunds Neckartailfingen weiter. Nachmittags ging es besonders turbulent bei „Singen im Strafraum“ zu, einer Kooperation des Verbandschores „Die Pfäffer“ und der Fußballjugend des TSV Wäldenbronn mit ihrem singenden Trainer Martin Hägele.
Erwartungsgemäß auf einer ganz anderen Ebene agierten die Nachwuchssänger der Aurelius Sängerknaben Calw, die ihre Chorleiter Bernhard Kugler und Andreas Kramer beim Workshop „Hoffnungsträger Knabenchor“ unterstützten. Kugler erläuterte das System, mit dem Knaben in den Aurelius-Konzertchor oder gar als Solisten auf die Opernbühne gelangen. Angesetzt wird bereits in Kindergärten, in die Mitarbeiter der Sängerknaben oder anderer Institutionen gehen mit dem Ziel, den Kindern den gesunden Umgang mit ihrer Stimme und ein Grundrepertoire an Kinderliedern beizubringen und gleichzeitig Erzieher/Innen fortzubilden. Schon hier sollte dem Problem der „Bruststimmfalle“ vorgebeugt werden, das sich durch ungeeignete Medien, zu tief mit Kindern singende Eltern und leider auch unzureichend ausgebildete Verantwortliche in Kindergärten, Schulen und Chören immer mehr verschärft. „Schwierigkeiten gibt es, wenn verlangt wird, kräftig in tiefer Lage zu singen“, so Kugler. „Es wird dann auch im Brustregister nach oben gepowert, was zu Schäden an den Stimmbändern und dem Verlust der Kopfstimme führen kann“.
Dass einstige Chorknaben auch gerne in A-cappella-Ensembles wirken, dafür gibt es viele prominente Beispiele. Auch die fünf Jungs von „vorlaut“ haben diesen Weg eingeschlagen und ließen viele hochmotivierte Teilnehmer an ihrem Können teilhaben. Wieder ein anderer Weg, Jugendliche Sänger zu erreichen ist der Hip Hop und auch hierzu wurde mit dem Rapper Samadhi und Leonie Werz ein ungewöhnlicher Workshop durchgeführt, gefolgt von der Präsentation eines Kooperation-Projektes im Abendkonzert.
Neben diesen Angeboten gab es auch viele nützliche Tipps und Anregungen zur Stimmbildung, Stimmgesundheit und Männerchorliteratur, wobei Salome Tendies bei der Präsentation der Workshop-Ergebnisse einen der wichtigsten Punkte für alle aufgriff: „Die Freude muss in den Augen zu sehen sein. Energie muss sich vom Chorleiter auf die Sänger übertragen und dann auch beim Publikum ankommen.“ Und dies ist ganz offensichtlich keine Frage des Alters! Der Seniorenchor „Spätlese“ des Philharmonischen Chores Fellbach unter Prof. Alfons Scheirle strahlte enorme Freude aus und bewies, dass geschulte Stimmen auch im Alter noch schön klingen. So bleibt letztlich bei allen neuen Wegen doch immer die Qualität entscheidend. Wenn dann noch wie an diesem Tag Horizonte geöffnet werden, wird der Präsident des Schwäbischen Chorverbandes, Dr. Eckhart Seifert, hoffentlich recht behalten: „Männerchöre haben Zukunft!“ Heike Weis
Große Stimmung beim Konzert “Männersache“
Im Abschlusskonzert zum Tag der Männerstimme in Nürtingen zeigten kleine und große Männer, wohin die Reise gehen kann
Knabenchor, Hip Hop, große Kooperationen oder kleine A-cappella-Ensembles – im Konzert „Männersache“ wurde gezeigt, dass viele Wege in die Zukunft des Männergesangs führen. Dass neben aller wünschenswerten Innovation auch bewährter Chorgesang bei entsprechend guter Darbietung seinen Platz haben wird, zählt wohl ebenfalls zu den wichtigen Erkenntnissen des Abends.
Vieles hatten die Teilnehmer des Tages der Männerstimme bereits erfahren oder gar selbst ausprobiert. Im abendlichen Konzert sollte nun auch ein größeres Publikum im gut besuchten Großen Saal des K3N in den Genuss der Vielfalt des Männerchorgesangs kommen. Und wie Oberbürgermeister Otmar Heirich eingangs so richtig feststellte, sollten Singen und gute Laune zusammen gehören.
Entsprechend führten die beiden Moderatoren Wolfgang Layer und Johannes Pfeffer vom Schwäbischen Chorverband mit viel Humor und Selbstironie mal rappend, mal singend oder gar philosophierend durchs Programm, das gleich mit einer ganz außergewöhnlichen Zusammensetzung begann: Unter Leitung von Joachim Schmid hatte sich der Männerchor „Die Pfäffer“ mit dem professionellen Rapper Samadhi und Leonie Werz zusammengetan, um gemeinsam mit Jugendlichen der Erziehungshilfestellen Nürtingen-Umland und –Stadt der Stiftung Tragwerk eine beeindruckende Show mit zugleich pädagogischem Effekt auf die Beine zu stellen. So ließ Samadhi auch die Kids rappen, Leonie tanzte mit den Mädels Hip Hop und die Männer lieferten den passenden Background oder Refrain, teils von Leonie gefühlvoll ergänzt.
Da der Abend von Kontrasten lebte, folgte der Aufbauchor der Aurelius Sängerknaben Calw unter der Leitung von Andreas Kramer und Bernhard Kugler. Auch bei diesen jungen Nachwuchssängern ließ sich die regelmäßige Einzelstimmbildung schon eindeutig feststellen. Mehrstimmigkeit ist hier bereits eine Selbstverständlichkeit und beim abschließenden Urwaldsong von Peter Schindler glänzte der Chor auch choreografisch.
Dass auch in Nürtingen und Kirchheim Jungen singen, zeigte der Auftritt des Projektknabenchores der Musik- und Jugendkunstschule Nürtingen und Kirchheimer Schulen, des Chores Männersache aus Ohmden und des Männerchores des Sängerbundes Neckartailfingen unter Leitung von Bertram Schattel und Joachim Schmid. Zunächst sangen die vielen Knaben sauber einstimmige Lieder eines kleinen Singspiels, bevor es mit den Männern zunehmend stimmgewaltiger wurde. „Go West“ wurde so kurzerhand zu „Männer treffen keinen Ton“ oder „Ein Mann singt besser als man glaubt, ein Mann ist Sänger überhaupt“ und weitere fröhliche Lieder wie der „Drunken Sailor“ folgten.
Bevor die Bühne den mit Spannung erwarteten A-cappella-Ensembles gehörte, lieferte Dieter Aisenbrey mit seinem Männergesangverein Kornwestheim den Beweis, dass auch ein Chor gestandener Männer begeistern kann, wenn er hochklassig und mit Ausstrahlung singt. Kleine choreografische Gags bei Christian Morgensterns „Der Lattenzaun“ wurden beispielsweise augenzwinkernd rübergebracht und machten somit Sängern wie Publikum großen Spaß.
Und Spaß war auch die Devise bei der nachfolgenden Gruppe mundArtmonika. Entertainment pur lieferte das Quartett mit einem professionellen Auftritt, bei dem die Palette vom Beatboxing bis zum Jodler reichte. Bejubelt wurde die Darbietung des Sängers, der als Kind eine E-Gitarre verschluckt haben soll und entsprechende Töne von sich geben kann, ebenso die skurrile Mischung aus Dance-Beats, „Da da da“ und „Jesus Christ Superstar“ oder das „zielgruppenorientierte“ Medley altehrwürdiger Schlager, mit dem das Publikum auf die Schippe genommen wurde.
Den gelungenen Abschluss machten schließlich die fünf Jungs der A-cappella-Band vorlaut, die einst im Reutlinger Knabenchor capella vocalis ihre Sängerlaufbahn gestartet hatten. Humorvoll breiteten sie ihr Gefühlsleben aus mit Themen wie dem Frust beim Shoppen, einem Liebeslied ans Klopapier und einem Medley schwankender Emotionen von „I´m a big big girl“ über „Sex bomb“ bis hin zu „Barbie Girl“.
Mitgerissen hat dieses Konzert allemal, aber es hat nebenbei auch gezeigt, dass es viele Stilrichtungen gibt, die ihre Berechtigung und somit Zukunft haben. Angesetzt werden sollte im Idealfall bereits in der Kindheit, wenn es auch in einigen Jahren noch singende Männer geben soll – in welcher Gruppierung auch immer.
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 29. Mrz 2011, Chöre 50+, Chorpraxis, Männerchöre, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.