Stimmpflege pur beim Jodelworkshop mit Clara Sattler!
Viel mehr als „Holleridudödeldi“
Bericht von Sabine Layer
Ein „Ruf wie Donnerhall“ war ihr vorausgeeilt, die überschäumende Begeisterung der Seminarteilnehmer des Premierenworkshops von 2013 hatte sich herumgesprochen, und so saßen diesmal über 50 erwartungsvolle Kandidaten im Bürgerhaus Hohengehren, um sich zwei Tage lang von Clara Sattler in die Welt alpenländischer Harmonik entführen zu lassen.
Erfreulich viele männliche Teilnehmer, insgesamt eine bunte Mischung aller Altersgruppen aus Gesangvereinen, Jungen Chören und Oratorienchören, die einen geübte Blattleser, die anderen ohne Notenkenntnisse – ein bunter Querschnitt durch die Chorlandschaft und eine Herausforderung für die Dozentin, denn es gilt, aus der Gruppe in kürzester Zeit einen Chor zu formen. „Man singt besser miteinander und braucht weniger Probenzeit, wenn man sich kennt und mag.“ Sätze wie dieser kennzeichnen den Herzmenschen Clara Sattler, und wenn dann noch eine kurze Anekdote aus ihrem Brixener Männerchor folgt, hat sie die Sympathien aller Anwesenden schon gewonnen.
Clara Sattler ist eine gelungene Mischung aus profund ausgebildeter Gesangspädagogin und Chorleiterin, streng gläubiger Katholikin (sie singt regelmäßig bei den Messfeiern im Brixener Dom) und uriger Tiroler Bauersfrau mit Herz, Mutterwitz und einer tiefen Liebe zur Volksmusik. Schon die Art, wie sie im zünftigen Trachtenoutfit die schüchternen Schwaben zum befreiten Stehen auffordert, ist einfach köstlich: „Jetzt stellt euch vor, ihr steht auf einem Berggipfel, breitet die Arme aus, und im Stall habt ihr nicht etwa zwei Ziegen, sondern vierzig Kühe!! Da steht man stolz und aufgerichtet!!“
Ihr erfrischender pädagogischer Ansatz greift auch beim Einsingen. Da werden nicht einfach die Zwischenrippenmuskeln gedehnt, sondern wir mähen eine Wiese mit weit ausholenden Bewegungen, was natürlich bei den männlichen Teilnehmern sofort eine Diskussion auslöst, ob man mit der Sense von links nach rechts oder anders herum mäht…
Mit glockenklarer, perfekt platzierter Sopranstimme singt Clara Sattler kurze Tonfolgen vor. Die subtile Kombination mit Armbewegungen führt beim Nachsingen durch die Teilnehmer sofort zu reiner Intonation. Die Kopfresonanz wird durch Antippen der „ Fontanelle“ geweckt, hohe Töne werden locker über die Schulter geworfen. „Learning by doing“ ohne komplizierte stimmphysiologische Erklärungen, die ideale Unterrichtsform im Laienchorbereich. Die Qualität des Lehrenden entscheidet.
„Ich brauche nicht lange über den Begriff Stütze zu reden. Singt diesen aufsteigenden Dreiklang und hebt dabei ein Knie vom Boden ab, dann arbeiten automatisch die richtigen Muskeln!“ Stimmt! Überhaupt das Stehen – ja, die ganze Gruppe steht und erst nach ca. einer Sunde gibt es Stühle. Noten?? Auf diese Frage antwortet die Dozentin mit ihrem unwiderstehlich herzhaften Lachen. „Nein, wir singen ohne Noten! Heute Nachmittag dürft ihr die Noten anschauen, und ihr werdet sehen, dass es aus den Noten viel komplizierter ist, und außerdem schaut ihr dann nicht mehr so schön zu mir her!“ Jetzt geht es in die Vollen. Wir lernen den „Sensenwetzer“, den „Kaseralm-Jodler“, den „Drallara“, „A viereckats Wiesl“, den Gloggnjodler und den Seminarhit „Hätt’i di“.
In bester „Call and Response“-Manier singt Clara Sattler die Phrasen vor, lässt den Sopran aufstehen, den Alt die zweite Stimme probieren, die Männer eine Bassstimme improvisieren. Dann stehen die Männer an der Wand entlang in einer Reihe, die Frauen werfen sich kanonisch virtuose Dreiklänge um die Ohren, und die Männer dürfen dazu „walking bass“-mäßig schimpfen: „Halt’s Maul, sei still! I geh hoam, wann i will!“
Alle sind mit Feuereifer dabei und können kaum erwarten, die neuen Melodien nachzusingen. „Jetzt erst mal „losen“, das heißt zuhören!!“ mahnt die Dozentin, als einige zu früh losplatzen. „Und nie zu laut, immer nur mit 70 Prozent eurer Stimme singen, dann klingt es schön, locker und frei!“
Die klaren Dreiklangsharmonien der Jodler sind Labsal für Stimmbänder und Seele. Alle lernen erstaunlich schnell, und interessanterweise ist der Zugang zu dieser Musik für die Klavierpädagogin mit abgeschlossenem Musikstudium genau gleich offen wie für den 80jährigen , der das Noten lesen nie gelernt hat.
Die Gruppe wächst zusammen, fühlt sich wohl miteinander, die klanglichen Ergebnisse sind schon nach dem ersten Vormittag befriedigend.
Am Nachmittag gibt es, wie versprochen, die Noten in die Hand, und es ist tatsächlich so – sie verwirren eher als zu helfen, was natürlich auch an der Volksliedproblematik liegt. Jeder Jodler wird vom Ausführenden sehr persönlich weitergegeben, und die Text- und Notenfassung stimmt oft nicht ganz damit überein. Auch die natürliche Agogik, der Atem, den diese Musik unbedingt braucht, lässt sich nicht notieren. So benutzen wir das Blatt eigentlich nur als Erinnerungshilfe –„Ach ja, das war dieses Stück!“, und schauen lieber wieder zu unserer Vorsängerin, die, sobald ein Stück „sitzt“, anfängt, eigene Überstimmen zu improvisieren. Viel zu schnell ist der erste Seminartag vorbei, und jeder geht mit guten Ratschlägen von Clara Sattler „Heute Abend nicht mehr so viel reden, aber viel trinken, vor allem Wasser! Dann ist die Stimme morgen wieder genauso fit wie heute früh!“ nach Hause.
Der Sonntagmorgen beginnt mit zwei Überraschungen: Viele Seminarteilnehmer folgen ihrer Dozentin und erscheinen in Dirndl oder Lederhose – ein schöner Anblick! Die zweite besteht aus einer Soloeinlage von Clara Sattler. Sie brennt ein minutenlanges, virtuoses Jodelfeuerwerk ab, begleitet sich selbst auf der Gitarre und endet mit einem Juchzer- tosender Applaus von ihren Fans!!
Heute gibt es Feinschliff und viele neue Informationen über Stimme und Stimmtechnik. Wir gehen alle begonnenen Jodler nochmals durch, auch den „Begegnungs-Jodler“ von Lorenz Maierhofer für 4stimmigen Chor und Sopran-Solo, eine originelle und dankbar zu singende Studie zum Thema alpenländische Musik. Vieles ist hängen geblieben von der gestrigen Arbeit, der Chor klingt „richtig guat“, wie Clara Sattler bemerkt.
Als es auf das Seminarende zugeht, hört man mancher Stimme dann doch an, dass sie zwei Tage lang um die sechs Stunden gesungen hat, das Feuer der Begeisterung brennt aber nach wie vor. Clara Sattler bringt die Gruppe mit dem wunderschön wehmütigen Lied „Pfiat Gott es liabe Leitlan all“ zur Ruhe. Damit es nicht zu melancholisch wird, gibt es nach den Dankesworten von Wolfgang Layer noch zwei Zugaben, natürlich ist der Lieblingsjodler „Hätt‘ i di“ dabei. Der endgültige Abschied fällt allen sichtlich schwer, und der einhellige Wunsch begleitet Clara Sattler auf den Heimweg nach Brixen: „Bitte bald wieder, und möglichst zwei Mal im Jahr!“
Der Wunsch wurde inzwischen erfüllt. Der Liederkranz Hohengehren, der die ersten beiden Seminare der Sängerin, Chorleiterin und Stimmbildnerin vor Ort sehr engagiert betreut hat, führt die Jodelseminare in Zukunft in eigener Regie durch. Vielleicht entsteht daraus ja so etwas wie eine Keimzelle fürs chorische Jodeln in Schwaben – zumindest im Schurwald.
Nächstes Seminar ist am 25. und 26. Oktober 2014, wieder im Bürgerhaus in Hohengehren. Anmeldungen per E-Mail beim Vorsitzenden des Liederkranz Hohengehren Jürgen Koch, E-Mail yogikoch@t-online.de
Sabine Layer
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 10. Mai 2014, Chorgattung, Chorpraxis, Fortbildungen, Singen und Stimme, sonstige Chöre, Themen, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.