Chorleben - S-Chorverband

Wir pauken ja keine mathematischen Formeln oder Vokabeln. Wir singen.

Gesangsworkshop “Hast Du Töne?”

In Zusammenarbeit mit dem Kloster Brandenburg in Dietenheim veranstaltet der Schwäbische Chorverband vom 18. – 19. Januar 2013 den  Gesangsworkshop “Hast Du Töne?” Dozentin ist die Sängerin und Gesangspädagogin Jasmin Seclaoui. Mit ihr sprach Wolfgang Layer über die Inhalte des zweitägigen Seminars.

SINGEN: Ein Gesangsworkshop ist zunächst einmal nichts anderes als ein „Instrumentencheck“. Dann geht´s darum, wo und wie dieses Instrument eingesetzt werden soll: solistisch, in einem A Cappella-Ensemble oder in einem Chor? Und schließlich – was heute nicht unwichtig ist – welche Literatur soll dieses Instrument singen: Romantik oder Musical, also belcanto oder belting? Wie kann man so viele Fragen und Entscheidungen unter einen Hut bringen?

Jasmin Seclaoui (JS): In einem Gesangsworkshop, der nicht für professionelle Sängerinnen und Sänger angelegt ist, sondern für Laien, also für alle anderen, die gerne singen und sich in dieser Beziehung weiterbilden wollen, ergibt sich die Entscheidung für das, was und in welcher Form man singt, aus der persönlichen Motivation. Wer Spaß hat, im Chor zu singen, träumt auch oft davon, mal solistisch in Erscheinung zu treten, und singt zu Hause bestimmt auch oft „solistisch“.  Dann ist es eine Frage, was man sich zutraut. Im Chor kann man sich sängerisch im Schutz der Gruppe austoben. Im A Cappella-Ensemble fällt ein falscher Ton auf, der Zuhörer bemerkt aber nur, dass irgendetwas im Ganzen nicht stimmt. Solistisch ist man völlig auf sich selbst angewiesen und dem Publikum ausgesetzt. Also: Es ist eine Mutfrage. Auch die Frage nach der richtigen Literatur ist bei Laien von der persönlichen Motivation, den persönlichen Vorlieben abhängig. Wenn ich Belcanto liebe, fällt es mir leichter diesen speziellen Klang und die Singweise zu produzieren als wenn ich nichts damit anfangen kann. Und so ist das auch mit anderen Stilen und Techniken. Am Ende geht es aber auch um das Niveau, das man präsentieren möchte oder sollte. Der Zuschauer erwartet von einem Laien nicht die gleiche Qualität wie von einem Gesangsprofi. Dennoch gibt es eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte. Sobald das Publikum peinlich berührt wird von dem Vortrag, ist die Grenze überschritten. Zusammen fassend lässt sich sagen: die Entscheidung über das, was und in welcher Form gesungen werden soll, ergibt sich aus der persönlichen Motivation, dem Mut und der Erwartungshaltung des Publikums.

SINGEN:  „Konzentriertes Üben, freudiges Ausprobieren und Spaß an der eigenen Stimme“ – das sind drei wichtige Elemente für die Inhalte Ihrer Arbeit. Lassen Sie uns im einzelnen darauf eingehen, z.B. Konzentration und Intonation.

JS: Mit dem Begriff „konzentriert“ meine ich nicht „verkrampft sich an einer Sache die Zähne ausbeißen“. „Konzentriert“ bedeutet für mich eine erhöhte Aufmerksamkeit, die sich auf die konkrete Arbeit richtet. Intonation, wenn sie danach fragen, ist abhängig von der Körperspannung. Körperspannung und Aufmerksamkeit bedingen sich gegenseitig. Wenn ich Töne treffen will, muss ich auf der einen Seite meinen Körper in eine „gute“ Spannung bringen, auf der anderen Seite muss ich mich auf die Musik, meine Mitmusiker und auf den Dirigenten achten.

SINGEN:  „Freudiges Ausprobieren“ – wer an Ihren Workshops teilnimmt, wird diese Freude und Bereitschaft sicher mitbringen. Wie motivieren Sie Sänger, die „seit 50 Jahren ‚so‘ gesungen haben“ und sich mit Experimenten schwer tun?

JS: Erfahrungsgemäß gibt es immer einige, eher wenige, die anfangs kritisch sind und das auch äußern. Später sind genau die es, die den meisten Spaß haben und am Ende glücklich den Raum verlassen. Ich mache ja auch keine Experimente. Ich benutze in meinen Workshops, in meiner Arbeit insgesamt, Übungen und Übungsformen, die Spaß machen und nur ein geringes Maß an Überwindung kosten. Lernen, auch in höherem Alter, funktioniert dann am besten, wenn Spaß mit dabei ist. Und wir pauken ja keine mathematischen Formeln oder Vokabeln. Wir singen.

SINGEN:  „Spaß an der eigenen Stimme“ setzt voraus, dass man seine Stimme kennt. Wie kann man sie in Ihrem Workshop kennen lernen?

JS: Es gibt Übungsformen, die nicht auf einen spezielles Ergebnis gerichtet sind, sondern einen freien, kreativen Umgang mit der Stimme provozieren. Welche Einflüsse wirken auf die Stimme? Wie wirken sie auf die Stimme? Wie hört sich die Stimme an? In solchen spielerischen  Formen lernt man seine Stimme und ihre Möglichkeiten kennen. Der Fokus liegt auf Freiheit im Umgang mit der Eigenwahrnehmung der Stimme. Wenn man in der Gruppe arbeitet auch auf der Fremdwahrnehmung. Das wird meistens sehr lustig und erhöht noch den Spaßfaktor.

SINGEN: Was mir bei vielen Sängerinnen und Sängern in unseren Traditionschören immer wieder auffällt, ist die Schwierigkeit der vokalen Umsetzung von emotionalen Inhalten. Ist das ein stimmtechnisches oder ein emotionales Problem?

JS: Es ist beides. Auf der einen Seite ist differenzierter emotionaler Ausdruck abhängig von der Beweglichkeit der Resonanzräume. Neben der Beweglichkeit brauche ich aber auch ein stabiles System, das den Gesangston trägt. Beide Systeme miteinander zu verschmelzen ist das Ziel stimmtechnischer Arbeit. Meistens wird in der chorischen Arbeit der Fokus auf das System gerichtet, welches den Ton trägt. Das andere, das die Emotionen in den Ausdruck bringt, wird vernachlässigt. Auf der anderen Seite ist das Problem ein emotionales. Ich glaube aber nicht, dass Chorsänger an einem Mangel an Emotionen leiden. Emotionen sind vorhanden. Der Ausdruck von Emotionen ist aber nicht geübt. In unserer Kultur ist es angemessen, Emotionen nur bedingt zu zeigen, sie eher über leisere Kanäle zu transportieren. Wenn man im Gegensatz zu unseren kulturellen Vorstellungen die Italiener betrachtet, sieht man, dass der emotionale Ausdruck ein anderer ist.

SINGEN:  Wer heute im Zusammenhang mit dem Singen und der Stimme nur an Lieder, Songs oder Chorsätze denkt, springt viel zu kurz. Es gibt diese hörbare Wechselbeziehung zwischen einer gesunden Stimme und einem gesunden Menschen.

JS: Eine gesunde Stimme, ein resonanzreicher Klang mit Kern ohne Druck verlangt bestimmte körperliche, muskuläre Einstellungen. Diese Einstellungen entsprechen denen, die aus medizinischer Sicht betrachtet als „gesund“ bezeichnet werden. Unsere Vorstellungen einer gesunden Stimme hängen mit den Erfahrungen zusammen, die wir in Bezug auf einen gesunden Körper gemacht haben. Der gesunde Körper, in „gesunder“ Spannung, erzeugt einen gesunden Stimmklang. Deshalb kann die Arbeit an der Stimme natürlich Einfluss nehmen auf unseren Gesundheitszustand.

SINGEN:  Zu Ihren eigenen Erfahrungen. Sie haben sehr unterschiedliche Qualifikationen und sowohl mit Profis als auch mit Laien zu tun. Die einen machen Sie fit, die anderen gesund, d.h. Sie geben erst einmal viel. Was nehmen Sie, was kommt zurück, was macht Sie nach einem Workshop zufrieden und vielleicht ein wenig glücklich?

JS: Ich bin der Meinung, dass Singen ein bedeutender Bestandteil unserer Kultur ist. Singen gibt dem Menschen etwas. Ich kann nicht genau sagen, was es ist. Es fühlt sich auf jeden Fall gut an, hat positiven Einfluss auf Körper und Psyche. Wenn ich in den Workshops sehe, wie die Gesichter der Teilnehmer zunehmend lockerer werden, zu lächeln beginnen, und sich eine ganz bestimmte Stimmung ausbreitet, dann macht mich das zufrieden. Das Singen und die Arbeit daran machen das möglich. Nach einem Workshop bin ich dann glücklich, wenn ich das Gefühl habe, die Arbeit hat sich gelohnt, etwas hat sich positiv entwickelt, die Teilnehmer gehen mit einem Strahlen zu Tür hinaus.

SINGEN:  Worauf dürfen sich die Teilnehmer an Ihrem Workshop „Hast Du Töne“ im Januar 2013 freuen?

JS: Am meisten auf sich selbst. Auf ihre Stimme. Auf persönliche Grenzen, die sie überschreiten werden. Aber auch auf die gemeinsame Arbeit mit den anderen Teilnehmern. Auf einen Austausch, der nicht nur auf sprachlicher, sondern auf sängerischer und stimmlicher Ebene stattfinden wird. Letztendlich auf Spaß und Freude.

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 27. Okt 2012, Chorpraxis, Chorverband Ulm, Fortbildungen, Regionalchorverbände, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

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