Klein aber fein – ein neues Exponat
Neues aus dem Silcher-Museum
Kürzlich lag im Briefkasten des Silcher-Museums ein Kuvert mit einem alten Eintrittskärtchen. „Alte Eintrittskarte“- das klingt zunächst eher nach Papierkorb als nach Museumsvitrine. In diesem Fall aber nicht! Das kleine Objekt ist eine echte Rarität. Es stammt von der Enthüllungsfeier des Schillerdenkmals in Stuttgart 1839 und dokumentiert ein bedeutendes Ereignis aus der Frühzeit der schwäbischen Sängerbewegung.
Das berühmte Stuttgarter Denkmal, das dem Schillerplatz erst seinen Namen gab, verdankt seine Existenz nicht zuletzt den schwäbischen Sängern. Allen voran war es der 1824 gegründete Stuttgarter Liederkranz, der die Realisierung des Denkmals für den „Dichter von Recht und Freiheit“, wie man Schiller damals im liberalen Bürgertum nannte, vorangetrieben hat. Als das Monument schließlich am 8. Mai 1839 enthüllt werden konnte, war der Auftritt zahlreicher Sängervereine selbstverständlich, ja sogar ein wichtiges Element der gesamten Festgestaltung. Im Silcher-Museum ist eine schöne großformatige Lithographie zu sehen, die den Festakt mit den teilnehmenden Liederkränzen zeigt. Die ebenfalls im Museum ausgestellte offizielle Teilnehmerliste nennt 42 Orte, deren Sängervereine entweder vollständig oder mit einigen Delegierten vertreten waren.
Großveranstaltungen wie die Stuttgarter Denkmalsenthüllung wurden im so genannten Vormärz von der Obrigkeit sehr argwöhnisch beäugt. Man fürchtete, es könne bei solchen Gelegenheiten zu revolutionären Umtrieben kommen. Deshalb war für die Veranstalter der Stuttgarter Schillerfeier Ordnung und Kontrolle oberstes Gebot! Jeder Verein und Sänger musste sich vorher registrieren lassen und erhielt als Nachweis eine Eintrittskarte. Davon zeugt das dem Museum gestiftete Exemplar mit dem Aufdruck: „Platz für die auswärtigen Liederkränze. Die Karte ist als Ausweis beizubehalten.“
1800 Sänger in Stuttgart
Mehr als tausend Sänger hatten sich schon am Vortag zur Generalprobe auf dem Schillerplatz eingefunden, die anderen reisten am nächsten Morgen an: „Auf allen Straßen wogte eine fröhliche Menge; man ging den noch in die Stadt einziehenden Liederkränzen entgegen. Diese kamen theils auf mit Blumen bekränzten Wagen, theils zu Fuß an, geschmückt mit grünen Reißern; beinahe alle mit fliegenden Fahnen. Gaudeamus igitur, juvenis dum sumus ertönte am oberen Thore; es war die Tübinger Liedertafel mit ihrem wackeren Musikdirektor Silcher, die einrückte, während ein munteres Wanderlied vom Königsthore her die Geißlinger ankündigte“, beschreibt ein zeitgenössischer Beobachter die Ankunft der Sänger.
Gemeinsam zog die auf rund 1800 Personen angewachsene Sängerschar zum Schillerplatz und stellte sich mit ihren Fahnen im Halbkreis hinter dem Denkmal auf. Mörikes Festkantate „Dem heitern Himmel ew´ger Kunst entstiegen“, gesungen vom gemischten Chor des Stuttgarter Liederkranzes, eröffnete das Fest. Dann durfte Schillers zwölfjähriger Enkel Karl unter dem Geläut sämtlicher Kirchenglocken der Stadt die Hülle vom Standbild seines berühmten Vorfahren ziehen.
Die Festrede hielt Gustav Schwab als Mitglied des Stuttgarter Liederkranzes. (Er nutzte seine Rede übrigens u. a. dazu, die Geistlichkeit zu beruhigen. Die konservativen Gottesmänner hatten nämlich nur sehr widerwillig das Läuten der Kirchenglocken zugelassen, da einige im „Schillerkult“ eine neue Form von „Götzendienst“ sahen.) Der offizielle Festakt endete schließlich mit dem von allen Vereinen vorgetragenen Lied „Singe wem Gesang gegeben“ – eine Aufforderung, der auch bei der feucht-fröhlichen Nachfeier in der Stadt noch viele Sänger bis in den Abend hinein folgten.
Sparsame Zaungäste
Eintrittskarten für den Festakt auf dem Schillerplatz benötigten natürlich nicht nur die Sänger, sondern auch die übrigen Festbesucher. Da diese Karten aber etwas kosteten, war der Absatz weniger reißend als bei den Sängern. Die sparsamen Schwaben verteilten sich lieber als Zaungäste auf die umliegenden Häuser als auf die für sie vorgesehenen Gästetribünen, wie ein Beobachter berichtet:
„Vornehme Leute hatten an geringere viele schöne und höfliche Worte gerichtet, um in der alten Kanzlei den sechsten Teil eines halben Fensters zu erringen. Hierher wollte alles, denn hier kostete es nichts! Kopf an Kopf sah zu den Fenstern heraus; die Zimmer waren so gepfropft voll, dass die Hintersten sich auf Tische und Stühle stellten, um nur auch noch ein bisschen etwas zu erschauen. Auch im Palais des Prinzen Friedrich waren alle Fenster, alle Dachläden, besetzt. Das Wirtshaus zum König von England brach beinahe von vielen Besuchern, und auf dem alten Schlosse saßen viele sogar auf dem Dache, um nur umsonst zuzusehen.“
Nicht nur die Stuttgarter sahen an diesem Tag auf ihr Schillerfest – ganz Deutschland tat es! Die Feier wurde als eines der ersten großen Nationalfeste in der gesamten deutschsprachigen Presse viel beachtet. Besonders die Teilnahme der Sänger hatte die Aufmerksamkeit der Berichterstatter auf sich gezogen. Sie wurde vorbildhaft für die Gestaltung ähnlicher Festveranstaltungen. Chorgesang gehörte künftig als ein die Massen verbindendes Element zu jeder großen Festveranstaltung.
Herrn Franz Fendt aus Tübingen, der das historische Eintrittskärtchen dem Silcher-Museum gestiftet hat, sei herzlich gedankt! Im Museum freut man sich über jedes noch so kleine Geschenk, das die Sammlung und Ausstellung bereichert.
Sie finden das Silcher-Museum im Internet unter: www.silcher-museum.de
Rudolf Veit
Johannes Pfeffer, 19. Okt 2011, Chorverband Friedrich Silcher, gemischte Chöre, Männerchöre, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.