Chor.com – Workshop „Chor bewegt!”
Beim Betreten des Raumes ( Saal 16 in der Westfalenhalle) erwartet die interessierten Zuhörer ein erfreulicher Anblick: Ca. 20 junge Damen zwischen 16 und 20 Jahren mit freundlichen, offenen Gesichtern lächeln charmant – die Pfälzische Kurrende.
Zur Begrüßung ein plattdeutsches Volkslied, „Dat du min Leevsten büst“, und eine Minute Sichtkontakt mit schwarzen Notenmappen, die gleich darauf verschwinden und im Verlauf des Workshops nicht mehr auftauchen. Zauberhafter Mädchenchorklang, aber, was zu beweisen war, die zweite Runde ohne Mappen klingt noch einmal so schön!
Nun führt Chorleiterin Carola Bischoff in das Thema ein. Im Alter von 18 Jahren übernahm sie die Leitung eines Kinder- und eines Kirchenchores. Ihr fiel auf, dass Kinder sich beim Singen spontan bewegen, und zwar sehr natürlich und passend. Als sie dasselbe vom Kirchenchor verlangte, gab es Widerstand, bis sie vorschlug, dass alle sich in ihre Kindheit zurück versetzen sollten. Erwachsenen ist es fremd geworden, Emotionen durch Mimik und Gestik auszudrücken, aber, wie Carola Bischoff sagt, „jeder hat die ganze Bandbreite der Emotionen drauf!“
Heute geht es also um Chorgesang mit Bewegung, und die Dozentin umreißt zunächst vier Stufen bei der Umsetzung:
1. Erzeugen einer Grundstimmung
2. Effekte durch Aufstellen bzw. Bewegen im Raum
3. Schauspiel in Verbindung mit Text
4. Schauspiel ohne Textgrundlage
Genug der Theorie, jetzt wird gesungen! Cornelia Bischoff stimmt mit Kurrende und Publikum „Bunt sind schon die Wälder“ an. Zunächst sollen wir einfach den Herbst beschreiben, beim zweiten Durchgang den Herbst als persönliche Lieblingsjahreszeit schildern – schon leuchten die Gesichter! Bei der dritten Runde kommen noch die imaginären Düfte des Herbstes hinzu, vorgeschlagen werden „Äpfel“, „Wein“, „Pilze“ oder „Zwiebelkuchen“. Diese Fassung wird die intensivste.
Aufbauend auf solchen Erfahrungen, entwickelt Cornelia Bischoff gemeinsam mit ihren Sängerinnen Bewegungen, Choreografien und Schauspielelemente zu jedem Stück. Im Repertoire sind viele Volkslieder, zum Teil modern gesetzt, virtuose Vokalakrobatik neuer Komponisten wie z.B. der „Starenflug“ von Richard Rudolf Klein (geb.1921) oder jazzige Arrangements wie „The Typewriter“ von Leroy Anderson ( Arr.: Ko Matsushita).
Im Workshop geht es weiter mit einem traurigen Stück von Uli Führe „Weil du nicht da bist“. Die Mädchen experimentieren mit verschiedenen Aufstellungen, verteilen sich im Raum, stehen Rücken an Rücken, einige drehen sich nach einem Vorschlag aus dem Publikum langsam um die eigene Achse. Die Themen des Textes, Einsamkeit und sinnlos zerfließende Zeit, werden immer deutlicher, die Interpretation stark und überzeugend.
Nun hören wir ein norwegisches Brautlied, arrangiert von Henning Sommerro. Die Hälfte des Chores bildet die Fanfaren auf „Dui dui“ mit den Händen als Schalltrichter vor dem Mund, die anderen imitieren auf „Dadida“ den Brautzug. Dieses Stück verwendet das Ensemble oft zum Einmarsch bei Konzerten.
Die Stimmung im Workshop ist gelöst und familiär, immer wieder geben auch die Mädchen Auskunft über die Probenarbeit oder die Zusammensetzung der Gruppe. Viele berichten, dass sie anfangs sehr schüchtern waren, aber durch die choreografische Arbeit Hemmungen abgebaut und Selbstvertrauen, auch für Schule und Beruf, entwickelt haben.
Es folgen zwei Volksliedarrangements, die den Mädchen stimmlich und rhythmisch viel abverlangen, dazu kommt dann noch die Konzentration auf die Bewegungen. Carola Bischoff erklärt, dass die Probenarbeit oft schwierig ist, weil sie selten alle Chormitglieder gleichzeitig beisammen hat. Deshalb nimmt sich das Ensemble für anspruchsvolle Werke mit komplexen Choreografien manchmal bis zu einem Jahr Zeit. Währenddessen wird natürlich auch das bestehende Repertoire gepflegt, und neue Mitglieder werden ohne Zeitdruck in die Gruppe integriert.
„Die Vogelhochzeit“ ist eine Augen- und Ohrenweide, das zweite Volkslied, „Als wir jüngst in Regensburg waren“, wurde von Gunther Maria Göttsche speziell für die Kurrende arrangiert.
Allgemein kann man sagen, dass der Chor altersgemäß agiert, keine aufgesetzten Bewegungen macht. Alles, was die Sängerinnen tun, unterstreicht anmutig den Charakter der Musik, besonders schön sind die „sprechenden“ Gesichter!
Zum Ende des Workshops zwei virtuose Stücke – der zuvor bereits erwähnte „Starenflug“ und „The Typewriter“, das berühmte „Schreibmaschinenstück“, das schon Jerry Lewis unvergesslich umgesetzt hat.
Die Mädchen fliegen mit ausgebreiteten Armen durch die Dreiklangsschichtungen (alles auf dem Vokal „a“!) und bringen dann mit einer Sekretärinnenpantomime incl. hysterischem Aufschrei wegen einer imaginären Maus alle zum Lachen.
Mit “ Ich sag‘ Ade“ verabschiedet sich die sympathische Truppe mit ihrer liebenswert-bescheidenen Dirigentin.
Chor bewegt – im doppelten Sinne.
Sabine Eberspächer
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 25. Sep 2011, Chorfeste, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.