Chorleben - S-Chorverband

SBS – mit wem, für wen?

Viele offene Fragen zum Landesförderprogramm Singen-Bewegen-Sprechen (SBS)

Wenngleich im neuen Koalitionsvertrag nichts darüber zu finden ist, so wird das im Oktober 2010 eingeführte Förderprogramm für Kinder ab vier Jahren wohl auch unter der neuen grün-roten Landesregierung weitergeführt werden. Schließlich hatten vor einem Jahr alle Fraktionen dafür gestimmt und aus der Presse war seither viel Erfreuliches zu erfahren. SINGEN hat in den Ausgaben März und April zwei positive Beispiele vorgestellt, ist jedoch bei den Recherchen auch auf viele offene Fragen und skeptische Stimmen gestoßen. Namentlich zitiert werden möchte davon leider niemand – schließlich muss man im Musikbereich ja froh sein, wenn zusätzliche Gelder fließen, auch wenn man sich den Einsatz vielleicht zielgerichteter vorstellen könnte.

Und da wären wir auch schon bei der ersten Frage, die offensichtlich Vertreter der Musikverbände, Musikschulen, Kommunen, Kindergärten und auch Eltern gleichermaßen beschäftigt: Wer kommt in den Genuss dieses Programms, für das in der Endausbaustufe immerhin jährlich 24 Millionen Euro bereitgestellt werden sollen?  Heinrich Korthöber, Geschäftsstellenleiter des Landesverbandes der Musikschulen Baden-Württembergs und Koordinator des Programms, beziffert die aktuellen SBS-Fördermaßnahmen auf 1.339 Gruppen, nach den Sommerferien werde sich diese Zahl mit der Ausweitung auf den jeweils nächsten Jahrgang verdoppeln. In der Endausbauphase rechne man mit etwa 11.000 Gruppen.

Wie werden die Standorte ausgewählt?
Einig sind sich alle, dass insbesondere Kinder mit Defiziten im Sprach- oder Koordinationsbereich von SBS profitieren könnten. Ein Einsatz in sogenannten „Brennpunkt-Einrichtungen“ wäre nach Einschätzung sämtlicher Befragten sinnvoll. Die Praxis sieht aber anders aus: In einer ausgesprochen kurzen Frist konnten sich im letzten Sommer Musikschulen oder Vereine in Abstimmung mit einem Kindergarten und dem jeweiligen Träger für das Programm bewerben. Häufig waren dies Einrichtungen, in denen sowieso schon Verknüpfungen zu den örtlichen Musikschulen, Musik- oder auch Chorvereinen bestand.
Aber sind das nun gerade die Standorte, an denen SBS besonders nötig wäre? Sollten nicht eher Kinder, denen das Förderprogramm tatsächlich helfen könnte, zu SBS-Gruppen zusammengefasst werden? Macht es Sinn, dass Kinder, die bereits die musikalische Früherziehung besuchen und / oder im Kinderchor singen, dabei sind, während solche mit weniger musikorientierten Eltern außen vor bleiben?

Abgrenzung zur musikalischen Früherziehung
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen SBS und musikalischer Früherziehung? Eine Frage, die im Normalfall weder Eltern noch Erzieherinnen, ja scheinbar nicht einmal alle musikpädagogischen Fachkräfte beantworten können. Kein Wunder, dass die Musikschulen fürchten, ihnen könnte mit der musikalischen Früherziehung eine der finanziellen Grundlagen wegbrechen (was vielerorts bereits durch Angebote privater Musiklehrer oder von Musikvereinen geschieht), denn im Gegensatz zum Einzelunterricht können solche Gruppenangebote kostendeckend angeboten werden. Zusätzlich sehen Musikschulleiter die Gefahr, dass die Hinführung zum Erlernen eines Instrumentes ausbleibt, auf die SBS nicht ausgerichtet ist. Projektkoordinator Korthöber sieht diese Schwierigkeiten, ist aber dennoch der Ansicht, beides könne nebeneinander existieren, solange der Unterschied deutlich gemacht werde: „Musikalische Früherziehung ist qualitativ vertiefender. Es kann aber auch durch SBS Kindern der Weg in die Musikschule geebnet werden, die ihn sonst nicht gefunden hätten.“

Konkurrenzkampf um Kinder
Dass Konkurrenz das Geschäft belebt, mag für viele Bereiche gelten. Aber sollte daraus ein Ziehen und Zerren um Kinder werden, die bekanntlich weniger werden und durch Ganztagesschule, G8 & Co. immer stärker gebunden sind? Ist es nicht in erster Linie das Ringen um künftigen Nachwuchs, das Musikschulen (89% aller Gruppen) und Musik- bzw. Chorvereine (11%) dazu bewogen hat, sich am Landesförderprogramm zu beteiligen?
Sicher gibt es unter den Lehrkräften auch Idealisten, die aus Überzeugung Kinder an Musik und besonders ans Singen heranführen wollen. Für viele scheint es aber – nach Aussagen von „Kolleginnen“ und Erzieherinnen – einfach ein Job zu sein. Musikschulen haben teilweise zusätzliches Personal eingestellt, Vertreter aus dem Vereinsbereich schaffen sich einen Nebenerwerb oder gar ein berufliches Standbein.

Wie qualifiziert muss ein Bewerber sein?
Selbstverständlich mussten die musikpädagogischen Fachkräfte ihre Qualifikation nachweisen – allerdings nur auf dem Papier und nur im musikalischen Bereich. Ob ein Bewerber auch pädagogisch befähigt ist, war kein Thema. Ebenso wenig übrigens wie gesangliche Fähigkeiten und entsprechendes Wissen. Teilnehmerinnen berichten, dass  bei den ersten der zehn verpflichtenden Fortbildungsveranstaltungen Leute auftauchten, die weder den Tonumfang von Kindergartenkindern kannten noch sonst Ahnung von der Kinderstimme hatten. Selbst Lehrkräfte mit gebrochenen Deutschkenntnissen seien darunter – und Sprache ist ein zentraler Teil des Programms. Aber die Schwerpunkte würden sowieso je nach Ausbildung der Lehrkräfte sehr unterschiedlich gesetzt. Aussprüche wie „Rhythmus ist wichtig, sonst nichts“, waren da in den Pausen zu hören.
Was vor allem von den Erzieherinnen vielfach bemängelt wird, ist die oft fehlende Bereitschaft, auf die Kindergärten individuell einzugehen. Gerade Lehrkräfte mit mehreren Gruppen würden ihr Programm aus der letzten Fortbildung durchziehen, der Kindergarten hätte sich anzupassen. Gedacht war das umgekehrt. Andererseits herrscht mancherorts aber auch Enttäuschung über die Erzieher/innen, die eigentlich als Tandempartner voll im Boot sitzen sollten und für deren Unterweisung 15 Minuten je Unterrichtseinheit finanziert werden. Nicht wenige würden die SBS-Stunde aber als Entlastung im Kindergartenalltag betrachten und sich kaum oder gar nicht einbringen. Nachbereitung mit den Kindern: Fehlanzeige. Korthöber bestätigt, von derlei Unstimmigkeiten gehört zu haben. „Es gibt auch Fälle, wo das vom Träger aufgedrückt wurde“. Einige Fördermaßnahmen würden nach einem Jahr enden, hauptsächlich weil keine Lehrkraft mehr zur Verfügung stehe. Etwa 150-180 Wechsel der Lehrkräfte habe es bereits gegeben, die jedoch reibungslos funktioniert hätten. Für die Zukunft sei eine Fachaufsicht zur Evaluation der Maßnahmen geplant.

Fortführung in der Schule
Wie das Ganze ab Herbst 2012 in den ersten Grundschulklassen umgesetzt werden soll, wird noch diskutiert und soll im zugehörigen Rahmenplan bis zum Beginn der Sommerferien festgelegt werden. Nach derzeitigem Stand werden die bisherigen Leiter nicht automatisch in die Grundschulen übernommen. Vielmehr sollen bereits an den Schulen tätige Fachkräfte (auch aus Vereinen) das Programm fortsetzen. Ob lediglich im Betreuungsbereich oder auch im Kernbereich steht noch nicht fest und auch nicht, wie man Kinder aus den verschiedenen Kindergärten einer Gemeinde unter einen Hut bringen will, die teilweise SBS im Kindergarten hatten, teilweise nicht.
Und was geschieht mit bereits bestehenden Kooperationen? Es wird Schulen mit bereits bestehenden Chor- und Instrumentalklassen oder AGs in Kooperation mit Vereinen und Musikschulen geben, an denen plötzlich Vertreter anderer Einrichtungen SBS in ähnlicher Form anbieten wollen. Korthöber sieht eine Lösung darin, dass bestehende Projekte als SBS weitergeführt werden. Ob da alle mitspielen?

Viele Fragen, große Erwartungen
Auch wenn noch viele Fragen im Raum stehen, so überwiegt letztlich doch die Freude darüber, dass der Musik im Bildungsbereich endlich mehr Bedeutung beigemessen wird. Man kann nur hoffen, dass die Gelder nicht an anderer Stelle gekürzt werden – eine Sorge, die von allen beteiligten Seiten wie auch den Musikhochschulen und Verbänden geäußert wird. Singen – Bewegen – Sprechen war sicher ein sehr kurzfristig umgesetztes Programm, doch letztlich sollte jede Chance genutzt werden, Kindern das Singen wieder näher zu bringen. Heike Weis

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 30. Jun 2011, Chorgattung, Chorpraxis, Eltern-Kind-Musik, Kinderchöre, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

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