Der Liederkranz Kißlegg feierte sein 100-jähriges Jubiläum
Mit einem grandiosen Festwochenende hat der Liederkranz Kißlegg sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. An drei Tagen voller Gesang bewies der Liederkranz eindrucksvoll, dass Chormusik absolut keine aussterbende Spezies sein muß.
Das Jubiläumswochenende begann mit einem Festbankett in der Mensa des Schulzentrums. Viel Lob erntete die Chorgemeinschaft für ihr innovatives Verhalten. Als Krönung überreichte Landrat Kurt Widmaier die Zelterplakette.
Festbankett:
Die 1956 von Bundespräsident Theodor Heuss gestiftete Zelterplakette, als Anerkennung für besondere Verdienste um die Chormusik, wird frühestens aus Anlaß des 100-jährigen Bestehens eines Chores verliehen. Nicht automatisch, sondern nur, wenn eine Reihe besonderer Kriterien erfüllt sind. „Die Zelterplakette ist das Bundesverdienstkreuz für Chöre“, sagte dann auch Landrat Kurt Widmaier bei der Überreichung von Urkunde und Plakette.
Gesang als Wohlfühlfaktor lässt sich die Laudatio des Landrates umschreiben. Über Generationen hinweg habe der Liederkranz sich in Musik und Gesellschaft eingebracht und mit Leben erfüllt, Freude gemacht, Trost gespendet. Vielleicht auch einige Seelen geheilt. „Die Kißlegger können stolz auf ihren Liederkranz sein“, bekräftigte Widmaier. „Ihr Liederkranz hat sich geöffnet und ist ein Erfolgsmodell für die Zukunft geworden. Darauf können sie stolz sein“, wandte er sich an die Chorgemeinschaft. Das gute Miteinander sehe er auch als Zeichen für das gute Klima in der Gemeinde. „Kißlegg ist die ´lieder-lichste´Gemeinde im Landkreis Ravensburg“, fügte Widmaier scherzhaft hinzu und überreichte ein paar (Bank)Noten für Noten.
Was wollen junge Leute singen?
Eröffnet worden war das Festbankett zuvor von Karl Heinz Lutz, der eine lange Reihe von Ehrengästen und Sponsoren begrüßen konnte. Trotz seiner 100 Jahre habe der Liederkranz Kißlegg keine Alterserscheinungen, konstatierte Lutz, „denn bereits im Jahr 2001 haben wir Mut aufgebracht zur radikalen Strukturänderung“. Statt zu fragen, wie mit der traditionellen Literatur neue und junge Sänger begeistert werden können, fragten sich die Kißlegger, „was wollen junge und neue Sänger heute für eine Literatur singen?“. Schnuppersingstunden wurden angeboten; und am Ende gab es zwei neue Chöre, die „Jazz-Singers“ und die „Modern Voices“. Die bereits bestehenden Chöre erhielten die Namen „CantoClassico“, „TonArt Frauen“ und „TonArt Männer“. Alle unter dem Dirigat von Matthias Walser, der seit 2001 diese fünf Chöre leitet. Zusätzlich wurde der Kinderchor „Polarsterne“ gegründet, sowie eine Kooperation Verein/Schule eingegangen, die finanziell vom land unterstützt wird. „Traditionell und modern, beide Begriffe treffen auf den Liederkranz Kißlegg zu“, erklärte Lutz. Mit gutem Gewissen könne man heute sagen: Pflicht zur Weiterführung der Tradition erfüllt und durch die Strukturänderungen den Verein zukunftsfähig gemacht. „So können wir gelassen ins zweite Jahrhundert gehen.“
Chöre müssen sich öffnen
Wer sich nicht öffnet und/oder kooperiere, der habe keine Chancen, auf Dauer als Chor zu überleben, bestätigten einmütig auch der Vizepräsident des Schwäbischen Chorverbandes Wolfgang Oberndorfer und der Präsident des Oberschwäbischen Chorverbandes (OCV) Achim Schwörer. „Es gibt keine Lebenslage, in der das Lied nicht ein treuer Begleiter ist“, zitierte Oberndorfer bei der Überreichung der Jubiläumsurkunde des Schwäbischen Chorverbandes. „Der Liederkranz Kißlegg hat Chorgeschichte geschrieben“, bestätigte er dem Jubilar.
Achim Schwörer (OCV) forderte den Liederkranz auf: „Sie haben den Grundstock für die Zukunft gelegt; gehen Sie diesen Weg weiter.“ Die Schwierigkeiten der Chormusik sieht Anna Regine Sieber vom OCV vor allem in der fehlenden musikalischen Ausbildung der Kinder, die begonnen habe, als es für Grund- und Hauptschullehrer nicht mehr zur Pflicht gehörte, ein Instrument spielen zu können. „Es gibt Schulchorleiter/innen, die können keine Noten lesen“, sagte sie unter dem erstaunten Gemurmel der Festgäste.
„Das große Sterben der Chöre hat nicht stattgefunden, aber die Strukturen haben sich verändert“, stellte Anton Buck vom Patenverein Vogt an den Anfang seiner Rede. Buck hatte ein eindrucksvolles Geschenk mitgebracht; ein aufwendig gesticktes Fahnenband. Beide Chöre, der Liederkranz Kißlegg und der Liederkranz Vogt pflegen seit dem 05. Juni 1933, dem 50-jährigen Jubiläum des Liederkranzes Vogt, eine enge freundschaftliche Beziehung. Am 24. Januar 1934 beispielsweise, kamen die Vogter mit Pferdeschlitten zu Besuch nach Kißlegg. Eine alte Tonbandaufnahme der Kißlegger von 1958 hatte Anton Buck im Archiv gefunden und auf CD brennen lassen als weiteres Geschenk.
Auch Lieder ertönen
„Der langjährige Dirigent Willi Ziesel hatte die Meßlatte hoch gelegt und Matthias Walser hat den Chor in beeindruckender Weise im 21. Jahrhundert ankommen lassen“, erklärte Bürgermeister Dieter Krattenmacher und beglückwünschte den Liederkranz. „Sie machen den Menschen Freude und schaffen es, sie zu begeistern“, lobte er.
Zwischen all den Lobeshymnen gab es auch Gesang und Musik. Am Anfang und Ende mit dem beeindruckenden Gesamtchor, dazwischen mit den jeweils passenden Liedern zur Chronik, zeigte der Liederkranz sein hohes Niveau.
Chronist forscht auf 2000 Seiten
Viel verdientes Lob und Applaus von allen Seiten erhielt der Chronist Klaus Weiland, der die umfangreiche und sehr informative Festschrift verfasste.
Rund 300 Stunden Arbeit stecken da drin. „Wir hatten die ganze Zeit sehr gewissenhafte Chronisten“ erzählte Weiland. Rund 2000 Seiten Chronik hat er durchgeforstet, zum Teil noch in Sütterlinschrift.
Siegfried Genal, aktiver Sänger und Ehrenvorsitzender des Liederkranzes Kißlegg übernahm die Präsentation „100 Jahre Liederkranz Kißlegg“. Für die Anwesenden und auch die Sängerinnen und Sänger gab es bei den Fotos auf Großleinwand Aha-Erlebnisse. Geschickt verstand es Genal, die Texte der Chronik mit den Menschen zu verbinden, die dahinter stehen; teils aktive Sänger, teils als Kinder oder Enkelkinder der Sänger. Das Singen in Kißlegg ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Erstaunlich auch die die lange Tradition der fast jährlichen Operettenaufführungen mit 500 und mehr Besuchern.
Hervorgegangen ist der Liederkranz Kißlegg, gegründet am 21. Oktober 1909, aus der Sängerriege des Turnvereins. Gründungsmitglieder waren Dirigent und Lehrer Ege, sowie die Herren Wetzel, Sontag, Rinninger, Schuhmacher, Philipp Müller und Karl Weiland. Den Dirigenten bezahlten die Mitglieder damals wie heute selber.
Konzert:
Die verschiedenen Ausrichtungen der fünf Chöre des Liederkranzes Kißlegg, „CantoClassico“, „Modern Voices“, „Jazz-Singers“, „TonArt Frauen“ und „TonArt Männer“ erlaubt es dem Dirigent Matthias Walser, aus einer großen Bandbreite Musikliteratur zu schöpfen und dabei sicher zu sein, für jeden Geschmack das Passende zu finden.
Kinderchor begeistert
Hinzu kommt der Kinderchor „Polarsterne“, das Nachwuchsensemble im Grundschulalter unter der Leitung vom Chormitglied Dagmar Braun. Strahlend und unbekümmert, herzallerliebst anzuschauen, eröffnete er das Jubiläumskonzert in der übervollen Mensa im Schulzentrum. „Mittlerweile scheint es fast, der Liederkranz macht alles mit, was der Dirigent vorhat; und das ist sicher nicht zum Nachteil“, erklärte Matthias Walser stolz.
Im ersten Teil des Konzerts widmeten sich „Canto Classico“ , „TonArt Frauen“ und „TonArt Männer“ dem traditionellen Chorgesang aus Klassik, Operette, Musical, Volkslied und Schlager. Mit dem Can Can aus Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ eröffnete der „Canto Classico“. An die langjährige Tradition der beliebten Operettenaufführungen des Liederkranzes, die sogar einmal in acht Aufführungen über 4000 Besucher anlockten, erinnerte Irmgard Moser, die erläuternd durch das Programm führte. Es folgten romantisch „Memory“ und „My Way“, sowie „Pavane“, die Bearbeitung eines bekannten, französischen Volksliedes.
„Lauf Jäger lauf“ intonierte die „TonArt Frauen“, schwang sich bei Robert Schuhmanns „Im wunderschönen Monat Mai“ in höchste Höhen und schloß mit einem Liebeslied von Elton John.
Die „TonArt Männer“ begannen ihren Part mit dem Ohrwurm „Santa Lucia“, gefolgt von Mozarts „Der Vogelfänger bin ich ja“ und endeten beeindruckend mit „La Golondrina“.
Ganz anders ging es nach der Pause mit den „Jazz-Singers“ und „Modern Voices“ weiter. Instrumental begleitet von Daniel Gräser am Piano, sowie Christoph Matheis, Gitarre, Joseph Matheis, Bass, Martin Barth, Schlagzeug, und Edgar Roth, Flöte. „All the things you are“, „Der Rattenfänger“, „Mr. P.C.“ und Mendelssohn-Bartholdys „Oh Täler weit, oh Höhen“ in einem Jazzarrangement – die konzertierte, perfekte Darbietung der „Jazz-Singers“ war sicher der Höhepunkt des Abends und erzeugte atemlose Spannung.
Hinter der überzeugenden Spontaneität, den Soloeinlagen und dem Sprechgesang steckt immens viel Arbeit. Eine reife Leistung für Laienchor, die ihresgleichen sucht.
Die Melodien von „Modern Voices“ bewegten sich im Spektrum Schlager, Pop und Musical.. Zu hören gab es „Summer in the City“, „Saturday in the Park“, dann ein Medley aus dem „Tanz der Vampire“, „Dancing Queen“ von ABBA und Freddy Mercurys „Bohemian Rhapsodie“. Zum Abschluß des Konzertes vereinten sich alle fünf Chöre zum imposanten Gesamtchor.
Gottesdienst und Festhalle
Am dritten Tag ließ der Liederkranz singen. Den Gottesdienst am Sonntagmorgen eröffnete der Wangener Gospelchor „de-Chor, Gospel and more“ von Bernhard Ladenburger mit „Knocking on heavens door“. Der Chor gab weitere Lieder zum Besten und gestaltete so den Gottesdienst in treffender Weise.
Der ökumenische Gottesdienst in der katholischen Pfarrkirche St. Gallus und Ulrich stand ganz im Zeichen des Gesanges.
Pfarrer Robert Härtel beleuchtete in seiner Ansprache das „Klopfen an die Himmelstür“. Die Festpredigt hielt sein evangelischer Amtskollege Helmut Pipiorke. Er hatte die Bibel auf Gesang hin durchforstet und war mehrfach fündig geworden.
Siegfried Genal hatte die Fürbitten konzipiert. Den Auszug begleitete der Gospelchor mit „Didn´t my Lord deliver Daniel“.
Unter den Klängen der Musikkapelle zog der Festumzug mit den Festgästen und den Fahnenabordnungen der anwesenden Vereine durch den „Ortsflecken“ von Kißlegg zur festlich geschmückten Festhalle. Hier gab es reichliche Auswahl zum Mittagessen, Kaffe und Kuchen, welche von den Mitgliedern des Liederkranzes Kißlegg ausgegeben wurden.
Beim „freundschaftlichen Singen“ am Nachmittag traten befreundete Chöre aus der Region auf.
Es präsentierten sich insgesamt zehn Chöre mit jeweils ca. 20-minütigem Gesang.
Den Anfang machte der Patenchor Liederkranz Vogt. Anschließend sangen die Chöre Liederkranz Altann, Liederkranz Molpertshaus, Liederkranz Bad Wurzach, Sängerbund Neuravensburg, Männerchor Reichenhofen, Sängerkranz Leutkirch, Männerchor Amtzell und der Liederkranz Eglofs. Den Abschluß sang die Chorgemeinschaft aus Wangen.
Dieses Jubiläum zeichnete sich durch enormen Probenfleiß, durch eine souveräne, konzentrierte Vorbereitung, durch volles, aktives Engagement und ein verbundenes Miteinander im organisatorischen und inhaltlichen Bereich aus.
Die begeisterten Zuhörer waren der Lohn für die erbrachten Arbeiten der Chormitglieder. So wurde das 100jährige Jubiläum des Liederkranzes Kißlegg vom 19. bis 21. Juni 2009 für alle Beteiligten ein unvergessliches Fest.
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 6. Aug 2009, Oberschwäbischer Chorverband, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.