5. World Choir Games in Graz
11 Tage lang war Graz der Mittelpunkt der weltweiten Chormusik. 18.000 Teilnehmer aus 93 Nationen versammelten sich zu den World Choir Games, der inoffiziellen Weltmeisterschaften des Chorgesangs. Chöre aller Chorsparten vom Kinderchor bis zum Erwachsenenchor als Kammerchor bis zum großen Chor boten beste Chorvorträge fast rund um die Uhr. In 28 Kategorien wurden die Champions ermittelt.
Geschichte der World Choir Games
Die World Choir Games in Graz wurden in diesem Jahr unter dem Motto „Singing together, brings nations together“ zum fünften Mal von der Gesellschaft Interkultur veranstaltet. Sie organisiert in Europa eine ganze Reihe von Chorwettbewerben. Es begann als Chorolympiade im Jahre 2000 in Linz (Österreich). Nach Korea fand sie im Jahre 2004 in Bremen statt. Diese Veranstaltung durfte ich als Besucher miterleben und war begeistert von den vielen hochklassigen Chören aus der ganzen Welt. Nach 2006 in China ist sie in diesem Jahr nach Europa in die Kulturhauptstadt Graz zurückgekehrt. In zwei Jahren wird sie wieder in China durchgeführt. Nach Graz sind 440 Chöre aus 93 Nationen gekommen. Das ist gegenüber Bremen eine Steigerung um 80 Chöre und um 10 Nationen. Die meisten Chöre kommen aus Österreich. Danach folgt Deutschland.
Graz ist stolz auf die World Choir Games
Graz ist stolz auf die World Choir Games. Sie sind eine touristisch und wirtschaftlich wichtige Veranstaltung, die von der Stadt maßgeblich finanziell gefördert wird. Der Österreichische Arbeitersängerbund und der Steirische Sängerbund sind in die Organisation integriert und werben für die World Choir Games. Die ganze Stadt ist darauf eingestellt. Überall wehen die Fahnen der World Choir Games. An den Straßenbahnhaltestellen wird an den Anzeigetafeln abwechselnd auf die nächste Bahn und die World Choir Games hingewiesen. Die Zeitungen haben für die World Choir Games mit vielen Konzerten mit außergewöhnlicher Chormusik aus allen Erdteilen geworben. Der Wettbewerb spielt keine Rolle. Ein Werbeträger ist Gotthilf Fischer mit der Friedensmesse und dem offenen Singen. Bei den publikumswirksamen Veranstaltungen wie Eröffnung, Fernsehaufzeichnung „We are the world“, die im Österreichischen Fernsehen am Samstagabend zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird, der Friedensmesse unter der Leitung von Gotthilf Fischer und dem Preisträgerkonzert ist der stellvertretende Landeshauptmann der Steiermark anwesend. Das zeigt die Bedeutung, die dieser Veranstaltung beigemessen wird.
Eröffnung im Zentrum von Graz
Die World Choir Games werden auf dem Hauptplatz im Zentrum von Graz vor mehr als 3000 Kindern und Jugendlichen, die die Wettbewerbsteilnehmer des ersten Abschnittes sind, eröffnet. Vom Hauptplatz ziehen alle Chöre in einem einundeinhalb Kilometer langen Zug auf der Trasse der Straßenbahn zur Stadthalle. Eine Stunde lang haben die Sänger Vorrang vor der Straßenbahn. Es ist ein imposantes Bild, wenn die Kinder und Jugendlichen in ihrer Chorkleidung hinter ihrer Nationentafel und dem Chorsymbol durch die Stadt ziehen. Mir fällt auf, dass keine Kinderchöre aus Deutschland vertreten sind. Die Grazer freuen sich auf die vielen fröhlichen und aufgeschlossenen Menschen aus aller Herren Länder. Graz wird zu einer internationalen Stadt. Das hebt sich ab von den wilden Horden, die einige Wochen vorher zur Fußballeuropameisterschaft in der Stadt waren.
Die Chöre präsentieren sich in besonderen Feiern, Galakonzerten, bei den Wettbewerben, an vielen Plätzen in der ganzen Stadt und natürlich überall, wo die Chöre gerade sind. So sind die World Choir Games in Graz und in den Medien präsent. Täglich wird über die Veranstaltung berichtet.
Der Wettbewerb
Die World Choir Games wurden mehr als ein Jahr vorher weltweit ausgeschrieben. 28 Chorsparten werden nach dem Alter der Chormitglieder, der Art der Stimme, der Größe des Chores und der Art des Liedgutes unterschieden. Es gibt keine Unterscheidung nach dem Schwierigkeitsgrad und es wird daher kein Pflichtstück vorgegeben. Der Schwierigkeitsgrad zur Erlangung einer Auszeichnung ergibt sich aus der von den Teilnehmern vorgestellten Literatur und ihrer Beherrschung. Unsere Vereinschöre haben bei diesen Vorgaben kaum eine Chance. Beispielhaft möchte ich einige Kategorien des ersten Abschnittes nennen: Childrens Choirs, Young Male Choirs, Musica Sacra, Jazz Vocal Ensembles a cappella, Gospel & Spiritual – open category and Popular Choral Music – open Category. Ein Schwerpunkt sind vokale Ensembles, populäre Chormusik und Folklore. In zwei dicken Büchern werden einerseits die Veranstaltungen und Rahmenbedingungen erläutert und andererseits die Chöre und Juroren vorgestellt. 80 Juroren aus den Ländern der teilnehmenden Chöre beurteilen die Leistung. Bei der Durchsicht der Liste der teilnehmenden Chöre, in der das Land, der Ort, das Gründungsjahr, der Chorleiter und das musikalische Programm genannt sind, fällt auf, dass die meisten Chöre in diesem Jahrhundert gegründet wurden. 90 Prozent sind nicht älter als 20 Jahre. Damit entsprechen die Chöre nicht dem was wir in unseren Vereinen gewohnt sind. Bei den Jugendlichen vertreten nur drei Jugendchöre als Schulchöre Deutschland. Aus dem Gebiet des Schwäbischen Chorverbandes nehmen ein Gospelchor und ein Chor im Bereich populäre Chormusik teil.
Die World Choir Games sind in zwei Abschnitte aufgeteilt. Im ersten kämpfen Kinder- und Jugendchöre, Kammerchöre und Vokalensembles. Ein Schwerpunkt ist die kirchliche Musik. Im zweiten Abschnitt treten nur Erwachsenenchöre an. Hier ist ein Schwerpunkt die Folklore. Der Wettbewerb läuft in zwei Stufen ab. Er beginnt mit der Qualifikation, bei der ein bronzenes, silbernes oder goldenes Diplom erreicht werden kann. Hierbei beurteilen fünf Juroren die Leistung. Mit dem goldenen Diplom kann man auch an der zweiten Stufe mit dem eigentlichen Wettbewerb teilnehmen, bei dem die bronzene, silberne oder goldene Medaille errungen werden kann. In dieser Stufe beurteilen sieben andere Juroren die Leistung der Chöre. Die Chöre mit der besten goldenen Beurteilung in jeder Kategorie sind die Champions. Die Zulassung zum Wettbewerb wird von einer Expertengruppe auch durch das Abschneiden bei voran gegangenen World Choir Games oder anderen Chorwettbewerben erteilt. Beurteilt werden die Technik, der künstlerische Eindruck, die Intonation, der Chorklang und die Notentreue.
Die Organisation der World Choir Games ist perfekt. Alle Veranstaltungsorte befinden sich in einem Umkreis von vier Kilometern, so dass nur kurze Wege zu bewältigen sind. Durch Fahnen wird an allen Veranstaltungsgebäuden auf die World Choir Games hingewiesen. Die Wettbewerbe laufen zeitlich wie geplant ab. In allen Räumen sind Betreuer, Moderatoren und Juroren.
Beim Wettbewerb haben mich vor allem die Kinder- und Jugendchöre interessiert. Hier sind fast nur Schulchöre und Universitätschöre vertreten. Eine einheitliche Kleidung kennzeichnet die Gemeinschaft im Chor und sorgt für einen ansprechenden Eindruck. Die Mehrzahl kommt aus Asien und Südafrika. Erstaunt war ich von dem vorgetragenen Liedgut. Es entspricht gar nicht meinen Erwartungen von kindlichem Gesang mit szenischer Darstellung. Es wird die Chorliteratur von gemischten Chören vorgetragen. Zum Beispiel sind folgende Lieder zu hören Abendlied von Josef Rheinberger, Tebje pajom von Bortniansky, Als wir jüngst in Regensburg waren von Rolf Zukowsky und Bohemian Rhapsody von Freddy Mercury. Bei den Kinder- und Jugendchören bestechen die Klangfülle und die Perfektion des Vortrages. Ein Juror sagte mir, dass die Kinder und die Jugendlichen die Erwachsenenchöre in der Qualität übertreffen. Bei den jungen Männerchören beeindruckte ein Collegechor mit seinen 88 Sängern mit einer beispielhaften Dynamik vom leisesten Piano bis zum kräftigen Forte. Viele Kinder- und Jugendchöre hatten auch religiöse Literatur in ihrem Repertoire. Das Vater Unser war ein beliebtes Thema. Diese Chöre traten sowohl in der Kategorie Kinder- beziehungsweise Jugendchor an als auch bei der musica sacra an.
Besondere Veranstaltungen
Eröffnungsfeier
Die Eröffnungsfeier ist eine beeindruckende Vorstellung dieser World Choir Games in der großen Stadthalle. Ohne viel Reden werden mit eindrucksvollen Symbolen wie dem Einmarsch der Fahnen aller teilnehmenden Nationen, dem Anschlagen der Friedensglocke und der Intonation der Hymne diese Chorspiele eröffnet. Alles ist perfekt inszeniert. Hinzu kommt, dass einerseits die musikalische Vielfalt der Steiermark und anderseits die guten Rahmenbedingungen mit der beeindruckenden Natur vorgestellt werden. Die auftretenden Chöre vom alpenländischen Dreigesang bis zum stattlichen Chor werden durch Werbefilme in bester Aufmachung untermalt. Es ist ein Ohren- und Augenschmaus. Man kann annehmen, dass es auch in der Steiermark eine Vielzahl von Gesangvereinen gibt, die ähnlich wie unsere strukturiert sind. Diese Art des Gesangs findet in der Vorstellung keinen Widerhall. Das entspricht der Wiedergabe im Fernsehen wie wir sie in den letzten Jahren auch bei uns erleben, dass nur der Chorklang und der normale Gesangverein nicht mehr interessant sind. Es muss in Richtung Optik etwas hergeben.
Galakonzerte
Bei den Galakonzerten kann man den Chorgesang in der Form erleben wie er auch beim Wettbewerb beurteilt wird. Chöre einer Kategorie mit einer bekannten besonderen Qualität gestalten das Programm. Ohne äußere Inszenierung präsentieren sie sich in einem halbstündigen Programm. Es gibt Konzerte für reinen a cappella Chorgesang, Gospel und Spiritual, Vokalensembles und Folklore. Sie sind entweder in den Wettbewerbsräumen oder unter freiem Himmel. Die a cappella Vorträge sind für mich besonders beeindruckend. Fast alle Chöre singen auswendig. Damit stehen ihnen alle Möglichkeiten der Gestaltung zur Verfügung. Es wird deutlich, dass Chorgesang bei perfektem Vortrag sowohl akustisch als auch optisch vermittelt wird. Die Chöre nutzen nicht nur die Stimme mit der deutlichen Sprache, der Klangfarbe der Stimme und der dynamischen Variation. Hinzu kommt der Gesichtsausdruck mit seinen vielfältigen Möglichkeiten mit fröhlicher, trauriger oder auch aggressiver Ausstrahlung. Die Augen tragen durch die Blickrichtung auf den Chorleiter, den Zuhörer, dass er gemeint ist, den Blick zum Himmel und auf die Erde als Zeichen der Trauer oder des Todes zum Inhalt des Chorvortrages bei. Die Haltung der Körpers und der Hände unterstreicht noch die Wirkung des Gesangs mit ruhig abwartend, heftig bewegt, aggressiv, offen einladend oder verschlossen und abweisend.
Fernsehaufzeichnung
Der Höhepunkt ist die Fernsehaufzeichnung des Konzertes „We are the world“ in der großen Stadthalle. Dies ist eine schmucklose funktionale Messehalle ohne architektonischen Charme. Für das Fernsehen ist wichtig, dass die Halle mit mehr als 5.000 Besuchern gut gefüllt ist. Bei der Planung des Konzertes hat das Fernsehen eng mit dem Veranstalter Interkultur zusammengearbeitet. Alle Chorsparten vom kleinen Vokalensemble über Folkloregruppen bis zu einem großen Chor sind vertreten. Chorgesang aus allen Erdteilen wird in optisch attraktiver Darstellung mit viel Bewegung und mit vielen Mitwirkenden auf der großen Bühne eindrucksvoll präsentiert. Auch lokale Matadore wie der Robert Stolz Chor sind vertreten. Im Hintergrund wird der Gesang durch Filme über den gerade auftretenden Chor oder sein Land erläutert. Hinzu kommt ein beliebter und in Österreich sehr bekannter Moderator, der in jugendlichem Charme durch das Programm führt und eine Brücke von den Musikern zu den Zuschauern im Saal und am Bildschirm schlägt. Zu Beginn und am Ende ist die ganze Bühne mit dekorativ angezogenen Sängerinnen und Sängern in schwungvoller Bewegung gefüllt. Die Begeisterung der Zuschauer zeigt sich in einer spontan ablaufenden Polonaise. Alles ist fröhlich und angetan vom dem bunten Treiben.
Preisträgerkonzert
Beim Preisträgerkonzert in der Stadthalle werden die Champions eines Abschnittes geehrt. Alle Teilnehmer an den World Choir Games haben freien Eintritt, so dass der Saal nahezu voll ist. In jeder Kategorie wird ein Champion gekürt. Der Chor tritt auf die Bühne und die Fans im Saal jubeln laut. Man spürt sofort, wenn viele Teilnehmer einer Nation in Graz sind. Der Chor erhält die Auszeichnung und trägt ein Lied vor. So bekommt man einen lebhaften Eindruck der hervorragenden Qualität der Besten und einen guten Überblick über die Bandbreite des Chorgesangs eines Abschnittes.
Ergebnisse der World Choir Games
Bei den World Choir Games wurden 348 Auszeichnungen vergeben. Davon waren es 130 goldene, 191 silberne und nur 27 bronzene. Die erfolgreichste Nation war China mit 3 Champions, 12 goldenen Auszeichnungen, 22 silbernen und 3 bronzenen. Den zweiten Platz belegt Südafrika mit 3 Champions, 16 goldenen und 8 silbernen. Österreich errang insgesamt 35 Auszeichnungen, von denen es 8 goldene, 22 silberne und 5 bronzene waren. Der gemischte Kammerchor der Hochschule für Musik und Theater in Rostock erreichte für Deutschland eine Champion-Auszeichnung. Insgesamt erreichten deutsche Chöre 17 Auszeichnungen mit 3 goldenen, 10 silbernen und 4 bronzenen.
Verfasser: Dr. Karl Buschhoff
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 27. Aug 2008, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.