Hilfe für die Stimme im Alter
Prof. Elisabeth Bengtson-Opitz ist Autorin des Buches
Dass sich die Stimme im Alter verändert, merkt fast jeder, der die 50 überschritten hat. Meistens stehen Sänger und Chorleiter diesem Phänomen hilflos gegenüber. Vor allem Sopranstimmen leiden darunter, wenn sie plötzlich in den Alt versetzt werden. „Das ist eben so“ heißt es dann.
Auf dieses Buch haben nicht nur zahlreiche Chöre und ihre Chorleiter gewartet, sondern auch die Sängerinnen und Sänger dieser Chöre. Viele unserer Traditionschöre haben erfreulicherweise einen hohen Altersdurchschnitt. Denn wenn Sänger/innen mehr als 50 Jahre im Chor singen, dann zeigt das, wie wichtig ihnen dieses Hobby ist. Mit dem Alter ändert sich auch die Stimme. Elisabeth Bengtson-Opitz, Gesangsprofessorin an der Musikhochschule Hamburg, ist Spezialistin für älter werdende Stimmen und hat soeben das Buch „Anti-Aging für die Stimme“ veröffentlicht. SINGEN sprach mit ihr.
SINGEN: Ihr Buch „Anti-Aging für die Stimme“ nennt sich im Untertitel „Handbuch für gesunde und glockenreine Stimmen“. Gesundheit ist die eine, die „glockenreine“ saubere Intonation die andere Sache. Inwiefern hängen Intonationsprobleme mit den Stimmveränderungen zusammen?
Bengtson-Opitz: Da im Alter Muskeln, Bänder, Sehnen usw. ihre Elastizität und Spannkraft stufenweise verlieren, kann es schwierig werden, während des Singens die richtige Einstellung zu finden und zu erhalten – man singt zu tief. Dem kann man entgegenwirken durch gezieltes und regelmäßiges Training. So wie man beispielsweise die Beinmuskulatur dehnen und ohne viel Aufwand trainieren kann, lässt sich das auch mit der für die Stimmgebung notwendigen Muskulatur erreichen. Das bedeutet gezieltes Atemtraining und Training der Muskulatur der Ansatzräume.
Intonationsschwierigkeiten bei älteren Menschen können allerdings auch an vermindertem Hörvermögen liegen. Das Ohr verliert im Laufe des Lebens die Fähigkeit, Obertöne zu hören. Wenn das eintritt, wird sauberes Singen schwierig. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses etwas abzumildern: ein GUTES, MODERNES Hörgerät oder Spezialtraining durch Sensibilisierung des kinästhetischen Empfindens. Oft kommt beides in Frage.
SINGEN: „Anti-Aging für die Stimme ist kein Zaubermittel“ schreiben Sie, „sondern ein Weg“. Wie sieht dieser Weg aus?
Bengtson-Opitz: Der Weg besteht aus diszipliniertem Training der für das Singen wichtigen Muskulatur. Viele Chorleiter nehmen an meinen Kursen teil in der Hoffnung, zwei bis drei neue Übungen zu lernen, womit sie ihren zu tief singenden, zu viel tremolierenden Chor mit hohem Altersdurchschnitt zum Schönklang bringen können. Das ist ein törichter Wunsch. Lebenslange schlechte Singgewohnheiten lassen sich nicht mit zwei bis drei Übungen verbessern. Ein kompetenter, engagierter, wissender Chorleiter kann aber durch bewusstes Training seinen alten Chormitglieder zu einem neuen Singverhalten verhelfen – mit Geduld und mit genauer Kenntnis darüber, wie die Stimme funktioniert.
SINGEN: Ihr Buch thematisiert nicht nur, es handelt auch und bringt neben dem theoretischen Teil eine Menge hilfreicher Übungen, sowohl für die Körperarbeit wie für Atmung und Stimme. Dank der zahlreichen Abbildungen ist es eigentlich für jeden Sänger ein Muss, nicht nur für Chorleiter. Welche Bedeutung der Körper und die Körperhaltung für das Funktionieren der Stimme bei älteren Menschen haben, macht die aktive Sängerin, Diplomsportlehrerin und Sporttherapeutin Sophie Opitz im 2. Kapitel Ihres Buches deutlich. „Die Körperhaltung wird von unten nach oben aufgebaut“ ist ein wichtiger Satz, der nichts anderes besagt, als dass der Sänger auch „mit den Füßen singt“.
Bengtson-Opitz: „Der Sänger singt auch mit den Füßen“. Man hat in Sängerkreisen immer die Ausdrücke „durchlässig sein“, „auf dem Körper singen“ benutzt. Damit hat man den intuitiven Eindruck gehabt, dass der ganze Körper am Singen beteiligt ist. Der Laie hat diesen Ausdruck nicht verstehen können, weil sein Organismus nicht so trainiert ist, dass er eine Koordination der Funktionskreise erlaubt. Durch ganz gezieltes Körpertraining verbessern wir die für das Singen notwendige Zusammenarbeit verschiedener Körperteile: Atembereich (umfasst den ganzen Rumpf), Kehlkopfbereich und Ansatzräume. Körperlich betrifft dieses die Lendenwirbelsäule, die Brustwirbelsäule, die Halswirbelsäule – also die ganze Wirbelsäule und die von ihr abhängige Muskulatur.
SINGEN: Singen und das Gesungene bilden eine untrennbare Einheit. Mit dem Alter ändern sich die Lieder, sagt man. Brauchen wir eine neue Chorliteratur für Senioren? Oder was soll ich singen und was nicht, wenn sich meine Stimme zu verändern beginnt?
Bengtson-Opitz: Nein, wir brauchen keine neue Chorliteratur für Senioren. Älteren Menschen steht das ganze wunderbare alte, deutsche Literaturgut zur Verfügung. Ältere Menschen kennen noch die herrlichen alten Lieder, die Herder, Brentano und Achim von Arnim gesammelt haben. Ein Schatz! Ein wertvolles Kulturgut! Jahrhunderte alte Lieder mit einem zeitlosen Inhalt! Leider ist das alte Liedgut durch den Missbrauch des Verbrechers Hitler und Consorten in Verruf geraten. Dadurch ist ein irreparabler Schaden entstanden. Deutschland hat als erste Nation in der Welt seine Lieder verloren und die Fähigkeit zu ganz normalem Singen im Alltag. Also mögen doch die Senioren diese Lieder singen! Sie kennen die Lieder und lieben sie. Ausserdem gibt es unzählige Werke, die Senioren leicht bewältigen können.
SINGEN: Eine gesunde Stimme gibt Selbstbewusstsein und ist gleichbedeutend mit einer kraftvollen Persönlichkeit. Es geht also nicht nur um die singende Stimme, sondern um das Fenster des Menschen nach außen und nach innen. Depressionen gehen bekanntlich einher mit einer akuten Stimmschwäche. Ist Anti-Aging auch ein wenig „Healing“ für den Menschen?
Bengtson-Opitz: Ja – Anti-Aging ist ein Healing für den Menschen!!!!!
Ein Mensch, der frei strömend singen kann, kann auch frei strömend leben. Blockaden lösen sich, das Wohlbefinden steigert sich – die Persönlichkeit befindet sich „im Lot“.
Prof. Elisabeth Bengtson-Opitz:
Anti-Aging für die Stimme
Ein Handbuch für gesunde und glockenreine Stimmen
Co-Autorin: Sophie Opitz
Mit Illustrationen von: Volker Kriegel, F. W. Bernstein und Holger Vanselow
und Gedichten von Robert Gernhardt und Gulle Bruns
Dieses Buch richtet sich vor allem an Chorleiter, deren Chormitglieder zum größten Teil über 50 Jahre alt sind, aber gerne weiterhin im Chor singen möchten, und natürlich an die Sängerinnen und Sänger selbst, die aktiv etwas für ihre Stimme tun wollen – denn: Wer aktiv etwas tut, erhält sich seine Stimme buchstäblich bis zum letzten Seufzer!
„Anti-Aging für die Stimme“ ist ein Handbuch für eine gesunde Stimme auch im Alter. SINGEN wird das Buch in seiner Juli-Ausgabe vorstellen. Von September bis November erhalten Sie dann jeweils ganzseitige Einblicke in Ideen und Struktur des Präventionsprogramms „Anti-Aging für die Stimme“, das zum Patent angemeldet ist.
Das Buch kostet 18 €, ist erhältlich über den Verlag Edition Omega, E-Mail bestellungen@edition-omega.de oder www.edition-omega.de oder Fax 04238-943613 oder an die Postadresse:Eschweg 12, 27308 Kirchlinteln
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 14. Jun 2008, Chöre 50+, Chorgattung, Fortbildungen, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.