Zum 80. Geburtstag von Dieter Frommlet
Dieter Frommlet feiert am 24. Juli 2013 seinen 80. Geburtstag. Für die Zeitschrift SINGEN führte Wolfgang Layer mit dem Komponisten, Chorleiter und Pädagogen aus diesem Anlass das nachfolgende Interview.
SINGEN: Gleich zu Beginn eine Frage, die man eher am Ende eines Gesprächs erwartet: Die Chorszene hat sich zwischen Ihrem Einstieg als Berufschorleiter und heute – also in über 55 Jahren – vehement geändert. Was vermissen Sie, was gefällt Ihnen?
Dieter Frommlet: Mir gefällt, dass die Jugend heute mehr singt, dass es viele Kinder und Jugendliche gibt, die bereit sind, sich in einem Kollektiv zu engagieren. Mit gefällt, dass man in diesem Bereich dem natürlichen Spiel-und Bewegungstrieb entgegenkommt, der jungen Wesen innewohnt, und dass man, mit erheblichem Aufwand, allerlei Aktivitäten und Aktionen mit dem Singen verbindet. Spielen und Lernen sind hier sinnvoll verknüpft. Über die gesungene Literatur ließe sich allerdings diskutieren.
Weniger gefällt mir, dass man vielerorts meint, all dies auch auf die Erwachsenenchöre übertragen zu müssen. Hier sollte man mehr der Musik den Vortritt geben, und Musik ist nun einmal primär für die Ohren da und nicht für die Augen. Man kann nicht alle Sinne gleichzeitig befriedigen, das ist für alle Seiten eine Überforderung. Ein Chorkonzert kann nicht Oper, Musical, Show und Kabarett in einem sein. Dafür gibt es jeweils kompetente Institutionen. Mehr Konzentration auf gutes Singen, gute Literatur(musikalisch und textlich) wären hie und da begrüßenswert. Ein Chormitglied muss nicht tanzen und jodeln können, sondern singen. Höchst erfreulich ist der Blick auf die steigende Zahl von Kammerchören, auch Jugendkammerchöre, die „nur“ singen und das hervorragend, was ich bei vielen Uraufführungen erleben durfte.
SINGEN: Sie sind in einem musikalischen Haus aufgewachsen. Sie haben später in Stuttgart Klavier, Gesang, Komposition, Orchester- und Chorleitung studiert … vieles wäre möglich gewesen, warum Chorleiter?
Dieter Frommlet: Chormusik war immer um mich. Mein Vater war Kirchenmusikdirektor und Dirigent zweier großer Chöre in Ravensburg und Friedrichshafen, da war ich von Kind an dabei, hörte sonntags den Kirchenchor, erlebte große Oratorienaufführungen (u.a. die Matthäuspassion noch mit Karl Erb als Evangelisten!), durfte oder musste ab dem 16. Lebensjahr assistieren. Als nach meinem Schulmusikstudium in Stuttgart einige große und recht leistungsfähige Chöre übernehmen konnte, war der Weg für eine freiberufliche Tätigkeit frei. Diese Entscheidung habe ich nie bereut.
SINGEN: Bach, Händel, Haydn, Mozart, Schubert, Orff, Mendelssohn, Sutermeister, Vivaldi usw. Sie haben viele Oratorien und Messen aufgeführt, und dennoch: Ihre Studienkollegen Helmuth Rilling und Wolfgang Gönnenwein – beide der gleiche Jahrgang wie Sie – haben die andere Seite der Musik gewählt. Hat Sie das irgendwann einmal geärgert, weil man mit NUR-KLASSIK angesehener ist?
Dieter Frommlet: Was meinen Sie mit „anderer Seite“? Ich war prinzipiell auf der gleichen Seite, nur auf einer anderen Ebene, eben in der der Laienmusikszene. Anspruchsvolle Chormusik wollte ich immer machen und bin auch heute noch der Meinung, dass es gut ist, wenn sich dort Profimusiker für ein hohes Niveau einsetzen. Klar ist dabei die Aufgabenstellung eine andere. Man muss da die Singenden an gute Musik und anspruchsvolle Werke erst heranführen und die Voraussetzungen für ordentliche Wiedergabe optimieren. Das ist, neben der Beachtung der sozialen Aspekte, eine schöne und dankbare pädagogische Aufgabe, der ich mich bewusst stellte.
SINGEN: „Chorische Gebrauchsmusik“ – für den einen ist das ein terminus technicus, für den anderen ein Schimpfwort. Sie selbst haben viel und sehr erfolgreich chorische Gebrauchsmusik geschrieben. Tausende von Chören haben Ihre Kompositionen gesungen und den Zuhörern hat´s gefallen. Angesehen ist man aber vor allem, wenn´s andersrum läuft. Das wäre doch mal ein echter Grund für einen „gesunden Minderwertigskeitskomplex“!
Dieter Frommlet: Im Gegensatz zu Berufschören brauchen die Laienchöre „Alltagsmusik“. Diese sollte ein gewisses Maß an Qualität nicht unterschreiten, also ist hier die Arbeit von Fachleuten gefragt. Auch bei der Bearbeitung von populären Melodien, die durchaus zum Repertoire eines Chores gehören dürfen, kommt es auf gekonnte Umsetzung für Chor an. Nur wer den Stellenwert von „chorischer Gebrauchsmusik“ nicht kennt, kann geringschätzig auf sie herabblicken. In meinen Kompositionen und Texten steht die Freude am Singen, die Freude am Leben, an der Schönheit und am bewussten Genießen all dessen im Vordergrund. Sollten mich deswegen Minderwertigkeitskomplexe plagen? Ich habe Texte von Goethe, Eichendorff, Rilke, Hesse, Morgenstern, Marie-Luise Kaschnitz, Wilhelm Busch, Eugen Roth u.v.a. vertont, habe dafür Kompositionspreise erhalten und damit bewiesen, dass ich auch „anders“ kann und was mich ermuntert, weiterhin auch anspruchsvolle Chorliteratur zu schreiben. Ich stehe auf der Seite der E-Musik, habe aber keinerlei Berührungsängste zur U-Musik.
SINGEN: Was zeichnet einen guten Komponisten aus?
Dieter Frommlet: Ich möchte die Frage auf „Chorkomponisten“ einschränken. Dieser muss eine sorgfältige Textaus-wahl treffen, Aussage, Stimmung und Form der Textvorlage beachten und diese stimmgerecht und zielgerecht vertonen. Zwölfstimmigkeit und extreme Tonlagen gehen eben nur für Berufschöre. Für Laienchöre gelten andere Kriterien, wobei diese auch nicht unterfordert werden dürfen.
SINGEN: Und wenn wir schon bei der Frage sind, was zeichnet einen guten Chorleiter aus?
Dieter Frommlet: Schwierige Frage, da jeder Chorleiter eine spezielle Persönlichkeit ist und jeder Chor seine besondere Zusammensetzung, Größe und Anspruchshaltung hat. Als Dirigent sollte er durch seine individuelle Körpersprache, möglichst im Einklang mit den international üblichen Dirigiernormen, den Chor zu präzisem und ausdrucksvollem Singen animieren können. Bei Aufführungen sollte er die Partitur im Kopf und nicht den Kopf in der Partitur haben und sich nicht mit bloßem Taktschlagen begnügen, in den Proben sollte er so locker wie möglich und so streng wie nötig sein. Sorgfältige Planung der Programmgestaltung ist wichtig, das Programm ist die Visitenkarte des Dirigenten. Daraus kann man seine Kompetenz bezüglich Stilsicherheit und Geschmack ersehen. Er muss alles überwachen, Bühnengestaltung, Auftritt, Programmdruck, Kleidung, sogar Blumenübergabe und Art der Moderation. Große Verantwortung liegt auf seinen Schultern, die er beim Dirigieren nicht hochziehen sollte. So, nun haben Sie den idealen Chorleiter!
SINGEN: Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, wenn man mit 80 Jahren eine dicke Biographie hat. Aber 22 Kompositionspreise, darunter vier 1. Preise und zwei Sonderpreise, das ist wirklich ungewöhnlich. Welches Werk gefällt seinem Schöpfer denn am besten? Wie heißt das Lieblingskind aus der Feder des Dieter Frommlet?
Dieter Frommlet: Meine „Morgenstern-Kantate“ für gemischten Chor und Bläserquintett möchte ich hier nennen, weil in ihr tiefsinnige Gedanken in positiver Form Ausdruck finden, die Wilhelm-Busch-Zyklen, aber auch einige Volksliedbearbeitungen, die ich für sehr gelungen halte.
SINGEN: Sie waren 17 Jahre lang Gauchorleiter des Schwäbischen Sängerbundes in Stuttgart, 22 Jahre Dozent für Dirigieren, Chorpraxis und Gehörbildung am Hugo-Herrmann-Seminar, waren Mitbegründer der Stuttgarter Chortage. An welches Konzert, welches Seminar, welche musikalische Tätigkeit denken Sie besonders gerne zurück?
Dieter Frommlet: In der Zeit als Gauchorleiter in Stuttgart war eine herausragende Veranstaltung „Partner singen“ in der Liederhalle. Dazu waren in gemeinsamen Vorbereitungen mit dem städtischen Kulturamt (Dr. Schumann) Chöre aus allen Partnerstädten Stuttgarts eingeladen worden. Unterbringung, Versorgung und die Erstellung eines interessanten Beiprogramm für 7 ausländische Chöre erforderten große Anstrengungen, die aber durch ein unvergessliches Konzert belohnt wurden.Zum einen eine „Carmina Burana“-Aufführung in der Aula der Uni Tübingen vor lauter jungen Menschen, die mit tosendem, fast halbstündigen Beifall eine Zugabe nach der andern verlangten, bis Chor und Orchester forderten: Schluss jetzt, wir können nicht mehr! Dann Haydns „Jahreszeiten“ in der Liederhalle, als im Laufe der Aufführung dank überragender Solistenleistungen, intensivster Orchesterpräsenz und Chor in Hochform eine unglaubliche Spannung und Stimmung im Saal entstand, die ich fast körperlich im Rücken spürte. Unvergesslich!
Seminar: Alle in Ulm stattgefundenen Seminare, wo dank der Betreuung, Verköstigung und Freundlichkeit von Herrn und Frau Blank (des langjährigen Vorsitzenden des Ulmer Gaues) eine nahezu familiäre Atmosphäre herrschte.
Musikalische Tätigkeit: Viele wunderbare Chorproben mit den Chören, die ich lange betreute: einen 41 Jahre, zwei 30 Jahre und zwei 20 Jahre. Einmal sprang der Chorvorsitzende eines Chores am Ende der Chorprobe spontan auf und rief: So schön kann Chorsingen sein! Ein andermal kam am Tag nach einer Chorprobe, in der ich die einzelnen Stimmgruppen bei der Stimmbildung benotet hatte, ein Telegramm ins Haus geflattert mit dem Text: Note eins für die gestrige Chorprobe. Nun habe ich mir aber genug auf die Schulter geklopft, es lief auch manchmal nicht ganz so gut. Nicht vergessen möchte ich, dass mir die Arbeit mit vielen Klavierschülern jahrzehntelang Freude bereitete, besonders mit den Musik-LK-Schülern und mit denen. die ich für die Musikhochschule vorbereiten durfte.
SINGEN: Die Liste der Solisten, Moderatoren bei Ihren Konzerten liest sich wie das Who´s Who der späten 50-er bis zu den frühen 90er-Jahren. Eine oder zwei Anekdoten aus den Veranstaltungen mit diesen berühmten Künstlern sind sicher hängengeblieben. Erzählen Sie´s uns!
Dieter Frommlet: Oh je, da gäbe es viel zu erzählen. Ich möchte aber nicht aus dem Nähkästchen plaudern. An einen Vorfall aber erinnere ich mich mit besonderem Schmunzeln: Ein sehr bekannter Sänger sagte zu mir in einer Probe (Richard-Strauß-Lieder in der Orchesterfassung von Robert Heger): „Auf diesem langen Ton mache ich ein Accelerando“. Nun wusste ich Bescheid und hörte genau hin, wie er auf dem langen Ton schneller wurde.
SINGEN: Was rät der erfahrene Chordirektor am Ende seiner Karriere einem jungen Dirigenten, der am Anfang steht?
Dieter Frommlet: Diese Frage erinnert mich an den Ausspruch eines Seminaristen bei der Abschlussprüfung in Dirigieren. Er sagte, der Jury zugewandt: „Ich heiße NN und stehe am Anfang meiner Chorleiterkarriere“. Nun zu der Frage selbst: Einiges ist ja schon in Frage 6 beantwortet. Wichtig ist außerdem, die Leistungsfähigkeit des Chores zu testen, wie schnell er lernt und wie lange er konzentriert arbeiten kann. Davon hängt die Gestaltung und die Länge der Chorprobe ab. Zu lange Proben (ohne Pause natürlich!!) sind für den Chor ermüdend und dann unbefriedigend. Auch zu langes und monotones Einsingen (sehr wichtige, gut vorzubereitende Probenphase) vermeiden, locker, möglichst humorvoll gestalten. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die Chöre in angemessenen Abständen an „kurzer Leine“ bis an die Leistungsgrenze , jedoch nicht bis zum Überdruss zu fordern und danach in der nächsten Phase wieder leichtere Literatur an der „langen Leine“ einzustudieren. Am Schluss der Chorprobe einen Abschnitt , der klappt, nochmals singen lassen, oder ein bekanntes Lied wiederholen und ein bisschen daran feilen. Der Chor soll die Chorprobe zufrieden verlassen können. Es ist zu empfehlen, E-Musik und U-Musik (ich bemühe mal die pauschalen, dehnbaren Begriffe) bei Aufführungen zu trennen, am besten durch eine Pause. Noch besser wäre, getrennte Veranstaltungen zu planen, einmal E-Musik, einmal U-Musik.
Soweit meine ausführliche Antwort auf Ihre Frage. Weitere Ratschläge Kann sich jeder angehende Chorleiter in den vielfältigen Fortbildungsmöglichkeiten holen, die der Schwäbische Chorverband ständig anbietet.
SINGEN: Vielen Dank für das Gespräch!
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 23. Jul 2013, Chorpraxis, Chorverband Friedrich Silcher, Regionalchorverbände, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.