Spannende Chorproben mit Konzept
Eine Chorprobe sollte immer einen Spannungsbogen haben. Eine gute Mischung aus Humor und konzentrierter Arbeit wirkt positiv auf das Probenklima. Der Chorleiter ist nicht nur Musiker, sondern auch Pädagoge und Psychologe. Egal welche Chorgattung er leitet: Er muss es schaffen, seine Vorstellungen den ChorsängerInnen so nahe zu bringen, dass das Ergebnis diesen Vorstellungen entspricht. Im Grunde ist jedes Mittel erlaubt, das zum Ziel führt, aber es gibt einen Konsens aus Erfahrungswerten, der die praktische Chorarbeit ausmacht. Hierzu zählen
• die Jahresplanung
• die Einteilung der einzelnen Proben in Phasen
• die Interaktion zwischen Chorleiter und SängerInnen
Jahresplanung
Bei der Jahresplanung muss der Chorleiter in enger Zusammenarbeit mit dem Vorstand Eckpfeiler setzen, die dem Chor Ziele liefern, auf die der Chor zuarbeiten kann. Es sollte dabei umsichtig geplant werden, denn eine Überforderung führt sehr schnell zu Unzufriedenheit aller und der Chorleiter muss letztendlich dafür gerade stehen. Auch wenn Konzerte zeitlich noch weit entfernt liegen, so muss das Programm rechtzeitig in Druck gehen. Neben einem Jahreskonzert hat der Chor noch einige andere Verpflichtungen, die im Lauf des Jahres dazu kommen (Ständchen, Hochzeiten, Beerdigungen, Dorf- oder Stadtfeste, etc.). In die Jahresplanung müssen unbedingt solche Aktivitäten eingearbeitet werden, die den Chor über den eigenen Tellerrand hinausschauen lassen. Dazu gehören überregionale Chorfeste vom Bezirk, Sängerkreis/Gau, Landesverband (SSB), Bundesverband (DCV) oder internationale Chortreffen. Auch Kooperationen mit Kindergarten, Schule, Kirche oder anderen Organisationen und Vereinen sollten in der Planung ihren festen Platz finden. Wenn man nun gegenüberstellt, wie viele Chorproben im Jahr zur Verfügung stehen, so kommt ein Chor sehr schnell an seine Grenzen: Geht man davon aus, dass es ca. 1 Monat dauert, bis ein überschaubares Stück neu einstudiert ist, so kommt man auf 10-12 Neueinstudierungen pro Jahr, da in den Ferien in der Regel nicht geprobt wird. Man kann nun anfangen, die Sache schön zu rechnen, indem man argumentiert, auch mehrere Stücke parallel einstudieren zu können. Eine solche Argumentation führt sehr schnell zu der angesprochenen Überforderung. Es müssen auch Stücke wiederholt und eingeschlichene Fehler verbessert werden, was in der Regel sehr zeitraubend und probenintensiv ist.
Was kann man also tun? Eine Entspannung dieser Situation zeigt sich in der Praxis auf mehreren Ebenen: Voraussetzung ist eine wohlüberlegte und realistische Jahresplanung. Außerdem ist es sicherlich ein falscher Ehrgeiz, immer nur Konzerte mit komplett neu einstudierter Chorliteratur zu präsentieren. Es können durchaus auch Stücke eingestreut werden, die schon Jahre zuvor gesungen wurden. Ein weiterer Weg bietet auch eine aktive Nachwuchsarbeit. Mit einem Kinderchor oder Jugendchor ist nicht nur der Stammchor entlastet, was die Anzahl der zu präsentierenden Liedern angeht. Es werden von Kindern und Jugendlichen auch andere Zuhörer angesprochen, und die Eltern, Verwandte und Bekannte der jüngeren SängerInnen sind immer ein dankbares Publikum.
Die Phasen
Die Einteilung der Probe in einzelne Phasen hängt von unterschiedlichen Faktoren ab:
• Wie lange ist die Probe angesetzt?
• Gibt es eine Pause?
• Welche Literatur wird einstudiert?
• Wie leistungsfähig ist der Chor?
• Chorgattung
Die oben genannten Faktoren beeinflussen den Probenverlauf und somit die Probenplanung des Chorleiters. Unabhängig davon gibt es jedoch Rahmenbedingungen, die für den Verlauf der Chorprobe wichtig sind. Dazu gehört die Atmosphäre, die in der Probe herrscht. Eine freundliche, aber bestimmte Haltung des Chorleiters hilft den Sängerinnen und Sängern, die Leistungsbereitschaft zu steigern. Ein Chorleiter sollte immer positiv formulieren. Anstatt „Der Ton war zu tief“, trifft die Formulierung „Singen Sie den Ton bitte etwas höher“ den gleichen Kern, wirkt aber positiver. Der Chorleiter kann aber noch viel mehr tun: Er kann bereits vor der Chorprobe abschätzen, an welchen Stellen Schwierigkeiten auftreten können. Für das Beispiel Intonation ist zu nennen: Schwierige und große Sprünge (Tritonus, Quinte und höher), Wechselnoten, Tonwiederholungen, erste und letzte Noten einer Phrase, Einklänge und absteigende Leitern. Schon vor der Probe sollte der Chorleiter die Problemstellen für seinen Chor erahnen und auch Lösungen ausarbeiten. So kann die Vorstellung für einen schwierigen Sprung anhand von Liedanfängen erleichtert werden (Bsp.: „Maria“ für einen Tritonus) oder die Vorstellung für einen großen Sprung kann geschärft werden, wenn man den Sprung „auffüllt“ (Leiter oder Dreiklangsbrechung).
Eine Chorprobe sollte niemals eintönig verlaufen. Die SängerInnen verlieren sehr schnell die Lust, wenn in 2 Stunden Chorprobe gerade mal 8 Takte intensiv geprobt werden. Der Chorleiter kann z.B. zu Beginn der Probe einen einfachen Kanon einstudieren, den die SängerInnen auch auswendig beherrschen können. Außerdem sollte am Anfang immer ein Stück stehen, das der Chor einigermaßen beherrscht. So findet der Chor auch noch nach dem Einsingen zu seinem Klang und wird sicher. Danach kann sich durchaus eine längere Phase für die Neueinstudierung eines Stückes oder eines Abschnittes anschließen. Innerhalb dieser Phase sollte der Chorleiter sein Chor über das neue Stück informieren. Eine kurze Einführung in den Stil hilft bei entsprechenden anderen Stücken, schneller zurecht zu kommen. Danach sollte der Chor je nach Leistungsstand in einem Schnelldurchgang das gesamte Stück oder den zu probenden Abschnitt vom Blatt mehrstimmig durchsingen, um auftretende Schwierigkeiten zu erkennen. Jetzt liegt es am Chorleiter, auf verschiedene Stellen einzugehen und zu proben. Immer wieder stellt sich die Frage, wie man als Chorleiter dem Chor die einzelnen Stimmen beibringt. Welche Rolle spielt dabei das Klavier? Grundsätzlich kann ein Chor auch ohne Klavier proben. Der Chorleiter singt die einzelnen Stimmen selbst vor und die jeweilige Stimme singt nach. Eine Stütze am Klavier ist genau das, was der Begriff „Stütze“ bedeutet: Fällt die Stütze weg, kann es sein, dass die Phrase zusammenbricht. Der Chor sollte immer zu einer Selbstständigkeit und damit auch Selbstsicherheit erzogen werden. Jede Sängerin und jeder Sänger muss aktiv seine Stimme beherrschen und sollte sich nicht nur an seine Mitsänger „dranhängen“. Ein Problem, das durch zu viel Mitspielen am Klavier auftritt, ist die unsaubere Intonation. Die Sänger sind es dann nicht mehr gewöhnt, eigenständig zu singen, sondern sie können sich immer an den vorgegebenen Tönen des Klaviers „entlanghangeln“. Insgesamt sollte der Chorleiter von seinem Chor immer etwas mehr verlangen. So steigert er das Leistungsvermögen seiner SängerInnen. Am Ende dieser Probenphase sollte immer das Erarbeitete nochmals komplett ein oder zwei Mal durchgesungen werden. So kann der Chorleiter nochmals auf musikalische und klangliche Gestaltung eingehen und der Chor fühlt sich durch das Resümee bestätigt. Ist die Probendauer lang genug, kann diese Probenphase auch noch mit einem anderen Stück wiederholt werden.
In der letzten Probephase können durchaus mehrere bereits erarbeitete Stücke gesungen werden. Hier ist auch meistens der Platz für die Ständchen.
Insgesamt sollte eine Chorprobe niemals unter Druck ablaufen. Der Chorleiter muss wissen, wie er seine Probe gestaltet und eventuelle längere Besprechungen z.B. wegen eines Festes, muss er vor der Chorprobe erfahren.
Interaktion
Die Interaktion zwischen Chorleiter und SängerInnen beruht wie oben bereits angedeutet auf einer freundlichen aber bestimmten Arbeitsatmosphäre. Doch es gibt noch mehr, was ein Chorleiter beachten kann. So ist es eigentlich selbstverständlich, dass jeder Stimme gleichermaßen Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Aber es passiert häufig, dass eine Stimme besondere Schwierigkeiten zu meistern hat. Vielleicht gibt es zudem noch eine Stimmteilung oder die anderen Stimmen haben in einem Abschnitt des Stückes eine größere Pause. All dies kann dazu führen, dass die Probenintensität auf eine bestimmte Stimme fokussiert wird. Ist dies der Fall, so wird es schnell unruhig, die Konzentration bricht ab und es wird für alle Beteiligten sehr mühselig. Entgegnen kann ein Chorleiter dieser Situation auf mehrere Weise. Er kann z.B. Stimmproben ansetzen, so dass mit einer oder mit zwei Stimmen intensiv geprobt werden kann. Außerdem ist es chorpädagogisch sinnvoll, wenn der Chorleiter während der Probe mit einer Stimme immer wieder Hinweise für andere Stimmen gibt, die vielleicht an anderer Stelle ähnliches zu singen haben. Aber man kann auch direkt andere Stimmen mit in die Probe einbeziehen. Oft ist es derselbe Text, der gemeinsam gesprochen werden kann, oder es ist derselbe Rhythmus. Wird eine Stimme zu einer anderen in Terzen geführt, können beide Stimmen gemeinsam proben, oder vielleicht gibt es auch Stellen, die in den einzelnen Stimmen identisch sind, so dass die entsprechende Phrase zeitgleich geprobt werden kann.
Um das Abreißen der Konzentration oder der Spannung zu vermeiden, gibt es einige Tricks, denen sich ein Chorleiter bedienen kann. Es sollte nicht zu lange erklären, sondern nur überschaubare Anweisungen geben. Währenddessen kann er das Metrum des Stückes innerlich weiter pulsieren, so dass der erneute Einsatz wieder zum richtigen Schwerpunkt erfolgen kann. Bei den Anweisungen muss der Chorleiter seine SängerInnen anschauen. Der Blick in die Noten verhindert eine direkte Kommunikation. Arbeitet der Chorleiter mit dem Klavier, so sollte er das Klavier nicht zwischen sich und den Chor stellen, da die Körpersprache für die Sänger nicht zu erkennen ist. Es ist nicht nötig, an jeder Stelle die Töne komplett neu anzugeben. Meistens haben die Sänger noch eine gute Tonvorstellung, wenn der Spannungsbogen nicht abreißt. Bei Einsätzen muss der Chorleiter Blickkontakt mit der entsprechenden Stimme aufnehmen. Dabei genügt es, einer Sängerin oder einem Sänger in die Augen zu schauen. Dann weiß die gesamte Stimme, dass sie angesprochen wird. Die gesamte Körpersprache des Chorleiters wird bewusst und unbewusst von den Sängern des Chores aufgenommen. Der Chorleiter muss sich über seine Vorbildfunktion im Klaren sein. Er kann nicht von seinen Sängern eine aufrechte Körperhaltung verlangen, wenn er selbst ein falsches Beispiel vorgibt. Genau so verhält es sich mit den Einsätzen: Der Chorleiter muss mit den Sängern atmen und den Text lautlos mitsprechen. Nur im Notfall darf der Chorleiter bei Fehlern in den einzelnen Stimmen selbst eingreifen.
Es ist die Kunst des Chorleiters, vor einem Konzert so auf den Punkt zu proben, dass weder Unsicherheiten vorhanden sind, aber auch die Spannung nicht abfällt, weil das Stück zu häufig geprobt wurde. Trotzdem muss es der Chorleiter schaffen, auch während des Konzertes seine musikalischen Akzente zu setzen. Er kann auch noch während des Konzertes viele Dinge beeinflussen, welche die Spannung des Chores steigern. Dazu gehört jedoch, dass der Chorleiter selbst über den Dingen steht. Aufgeregte Nervosität hilft genau so wenig wie völlige Spannungslosigkeit, was sich beides auf den Chor überträgt. Die Sicherheit aus der Probe gepaart mit einer dosierten Spannung trägt zu einem gelungenen Konzert bei.
Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 7. Apr 2008, Chorgattung, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.