Chorleben - S-Chorverband

„Jeder Chor muss unterstützt und gefördert werden.“

Chorwettbewerbe, Sponsoring und die globale Reiselust

Gemessen an den Fußballmannschaften und ihren Fans haben Chöre in Sachen Reiselust noch einiges nachzuholen. Dass Chorreisen heute mehr sein können als städtepartnerschaftlicher Stimmaustausch, ist vor allem unserem Interview-Partner Günter Titsch und der von ihm aufgebauten  Organisation Interkultur aus Pohlheim zu verdanken, die in Sachen Chorreisen und Chorwettbewerbe in den letzten 20 Jahren zum „Global Player“ geworden ist.

SINGEN: Vietnam, Budapest, Venedig, Reno (USA), Linz, Graz, Wernigerode, Rom und Malta sind im Jahr 2011 die Veranstaltungsorte von Festivals und Wettbewerben, die Ihr Unternehmen zielstrebig und erfolgreich aufgebaut hat. Damit haben Sie ganz wesentlich zum Chor-Boom der letzten 15 Jahre beigetragen. Wird dieser Boom anhalten oder langfristig nur eine Welle der Begeisterung sein, die in ein paar Jahren vielleicht wieder abebbt?

Günter Titsch: Wie man weiß, bin ich selber ein passionierter Chorsänger und lebe in der Gemeinde mit den meisten Chören Deutschlands (Pohlheim bei Gießen) In den 80er Jahren ergab sich für mich eine ganz andere und neue Aufgabe: Singen im Chor schafft Frieden durch Begeisterung! Gibt man den Chorsängern einen spannenden Wettstreit und Auftritt auf einer internationalen Bühne, wird ihre Musik zu einer alle Grenzen überschreitenden Verbindung zwischen den Völkern!

Aber das ist nicht alles. Es hat sich in den Jahren gezeigt, dass der persönliche Kontakt zu den Chorsängerinnen, Chorsängern und den Chorleitern eine entscheidende Rolle spielt. Wir möchten nicht nur tolle Wettbewerbe und Festivals veranstalten und anbieten, sondern auch die Anregungen und Wünsche unserer Teilnehmer in die verschiedenen Konzepte mit einbauen. Als Beispiel nenne ich die Ihnen World Choir Games, (WCG). Wir haben es mit dem neuen Konzept geschafft, dass  Chöre mit und ohne Wettbewerbserfahrung Spaß am Singen und Teilnehmen haben. Das Resultat der letzten Jahre zeigt, dass die Motivation zu singen und gerade im Chor zu singen immer weiter steigt. Selbst in der breiten Bevölkerung und in den Medien wächst das Interesse für Chormusik.

Meine persönlichen Visionen für die nächsten Jahre sind immer mit dem Ziel des Nationen verbindenden Gedankens durch die Musik verknüpft. Orientierungspunkte bietet mir dabei auch der Bereich des Sports. Einiges haben wir bereits erreicht. So wird es erstmal in diesem Jahr eine Chorweltmeisterschaft für die Jugend geben. Im Monat Juli treffen sich die Chöre in Graz in Österreich und mancher wird sich an die 5. World Choir Games 2008 erinnern können. Auch andere Länder haben wir in den Jahren erreicht. So haben wir unseren Wirkungsgrad in Asien ausweiten können Die Zukunft wird uns noch mehr schöne Veranstaltungen bringen!

SINGEN: Ihre Aktivitäten gelten der Spitzenförderung gleichermaßen wie der Breitenarbeit, also musikalische und soziale Kompetenz. Wie sehen Sie die Leistungen der Chorverbände in Deutschland in dieser Beziehung?

Günter Titsch: Jeder Chor muss meiner Meinung nach unterstützt und gefördert werden; unabhängig vom Können, der Religion oder der Herkunft. Die Chorverbände in Deutschland  leisten hierbei einen erheblichen Beitrag und bringen das Chorsingen in all seine Facetten voran.  Besonders hervorheben möchte ich das Engagement bei den Kleinsten. Sie werden gefördert und dem Singen spielerisch näher gebracht. Hier, wo es noch so natürlich ist zu singen, genau an der Stelle wo es für das Heranwachsen, das Herausbilden von selbstsicheren kleinen Persönlichkeiten eine große Rolle spielt, knüpfen die Chorverbände mit sehr guter Arbeit an.  Zudem gibt es viele Aktionen, die den etablierten und langjährigen Chören neue und interessante Impulse geben und neue Chöre ins Leben rufen. Nicht zu vergessen natürlich auch die große Auswahl an Seminaren für die  Chorleiter und das Nutzen eines Netzwerkes innerhalb der Chormusik auf nationaler aber auch auf internationaler Ebene. Das sind die besten Vorraussetzungen für ein langes Chorleben!

SINGEN: Die traditionellen Sponsoren unserer Vereine waren die Gewerbetreibenden vor Ort. Sie werden seit Jahren altersbedingt in bedrohlichem Maße weniger. Neue Sponsoren gibt es, aber die suchen andere Vereinsprofile als Geselligkeit, Bodenständigkeit und Traditionspflege.

Günter Titsch: Unterstützung heißt Stärkung, Unterstützung verleiht Sicherheit und eine gute Grundlage voranzukommen. Jeder hat die Erfahrungen bereits machen können, wir erhalten die Bestätigung durch die Medien: staatliche Unterstützung in Form von Zuschüssen, gerade im Bereich Kultur, werden immer weniger. Aber woher sollen die Sängerinnen und Sänger die finanziellen Mittel nehmen, um ihre Stadt, ihre Region oder Ihr Land in einer guten und respektvollen Art zu präsentieren? Unsere Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass man lernen und sich trauen muss, auf andere, übergeordnete Einrichtungen und Institutionen zuzugehen. Auch auf Vertreter aus der Wirtschaft.

Auch hier gebe ich gerne wieder ein Beispiel. Im nächsten Jahr finden die 7. World Choir Games in Cincinnati, USA statt. Hier werden wir einen lokalen und international bekannten Sponsor,  Procter & Gamble, auf unserer Seite haben. Durch diesen „Unterstützer“ erfahren der Wettbewerb, die Emotionen, die schönsten gesangliche Momente, jeder einzelne Teilnehmer noch mehr Stärkung. Wir sind dankbar, dass schon jetzt so viele diesen wunderschönen Wettbewerb kennen. Ein guter Sponsor bestätigt die Reputation und wirkt in großem Maße auf die Nachhaltigkeit.

INTERKULTUR, vor allem ich  persönlich, bieten den Verbänden und seinen Mitgliedern den Austausch und das Gespräch nur zu gerne an. Bei 65.000 Chören und 34.000 Blasorchestern in Deutschland sollten wir gemeinsam zu großartigen Resultaten kommen können. Gemeinsam ist man stark, allein ist man schwach!

SINGEN: Was macht eine erfolgreiche Chorreise heute aus – ob mit oder ohne Wettbewerb?

Günter Titsch: Das Wichtigste bei einer Chorreise ist natürlich die Musik! Der Einzelne fühlt sich im Kreise Gleichgesinnter sofort wohl, egal ob Jung oder Alt.  Durch das Singen erhalten  wir die Möglichkeit  für eine  Kommunikation unisono. Es fällt viel leichter, aufeinander zu zugehen und in Kontakt zu kommen. Wenn sich dann noch viele unterschiedliche Völker in derselben musikalischen Sprache verständigen können, ist für mich die Chorreise perfekt!

Man kann es vielleicht vergleichen mit einem langersehnten Spaziergang im Wald, ab vom Alltagsstress. Man taucht in die Wohligkeit der Ruhe ein und stellt schnell fest: es gibt noch viele Geräusche,  Gerüche und Eindrücke, die man plötzlich ganz leicht mit seinen Sinnen aufnehmen und teilen kann.

SINGEN: Ihre Organisation hat einen weltweiten Überblick über das Chorwesen auf 5 Kontinenten. Was ist gemeinsam, was ist unterschiedlich?

Günter Titsch: Das ist ein weites Feld, wie man sich vorstellen kann. Jedes Land hat bestimmte  Genres,  in denen es sich „gesanglich“ zu Hause fühlt. Nehmen wir die nordischen Chöre, die sich traditionell in den Kategorien Männerchöre,  Kammerchöre hervorragend behaupten. Deutschland bei den gemischten Jugendchören oder Kammerchören, gerne aber auch im Jazz oder in der Kategorie Pop. Die Chöre aus den USA reihen sich zumeist in die Kategorien  Gospel und Spiritual ein, afrikanische Chöre aus Südafrika bei den Jugendchören, Chöre aus Russland oder Polen sind stark der Folklore oder sakralen Musik verhaftet, die chinesischen Chöre sind stark in den Kategorien Kinderchöre und Folklore vertreten. Jedes Land präsentiert sich in seiner Art und Weise, nach seinen Traditionen und seiner Musikrezeption.

Was alle Chöre, aus allen mir bisher bekannten Nationen gemeinsam haben, ist das Interesse für die anderen Chortradition oder Lieder, man lernt voneinander und trifft sich beim nächsten Wettbewerb wieder. Man singt, also gehört man zusammen. Ich weiß aus eigener Erfahrung „Gospel auf Chinesisch“ ist durchaus machbar und möglich.

SINGEN: Die Bedeutung des Internets als Plattform für Chorauftritte sowie als Präsentationsmöglichkeit für Komponisten und Dirigenten wird immer wichtiger. Ich nenne nur den Namen Eric Whitacre. All das hat bereits zu neuen chorischen Formen und Formationen geführt, und es wird weitergehen. Eine spannende Zukunft!? Wie sieht sie für Chöre aus?

Günter Titsch: Die Entwicklung mit Hilfe der modernen Medien ist beeindruckend, wie ich finde. Es lässt viele Möglichkeiten der Präsentation zu, vereinfacht die Kontaktaufnahme und kräftigt das Netzwerk der Chöre und der einzelnen Sängerinnen und Sänger untereinander.  Es entstehen unweigerlich neue Formate für den Chorgesang und die Welt rund um Musik und Wettbewerb. Das alles muss sich nicht ausschließen. Unsere Erfahrungen, auch mit der Nutzung der neuen Medien zeigen, dass die Kontakte die wir geknüpft haben und auch weiteren über neue Plattformen knüpfen im Wesentlichen vom Realwerden profitieren.  Das Dabeisein in Echtzeit ist dabei ein besonderer und wichtiger Faktor, der sich wunderbar mit dem medialen  Part kombinieren lässt.  Nehmen wir das Posten von Videos vom Auftritt, der Blick zurück – das vergisst man nie!

SINGEN: Herr Titsch, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viele chorische Glücksmomente weltweit.

Das Interview ist auszugsweise zu lesen in SINGEN 2/2011, Seite 18

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 24. Jan 2011, Chöre 50+, Frauenchöre, gemischte Chöre, Jugendchöre, Männerchöre, sonstige Chöre, Vereinsführung, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

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