Chorleben - S-Chorverband

Workshops bei der chor.com – Skandinavische Chormusik

„Skandinavische Chormusik“ heißt der Workshop, der am zweiten Messetag von 10 bis 13 Uhr im Silbersaal der Westfalenhalle stattfindet.

Dozent ist Gunnar Eriksson, ein Urgestein der schwedischen Chorszene, Professor für Chorleitung in Göteborg, Gründer und Leiter mehrerer Ensembles, darunter der Kammerchor Göteborg und das Rilke – Ensemble. In seinen Arrangements und Kompositionen verbindet Eriksson verschiedenste kulturelle Einflüsse, lässt weltliche und geistliche Musik genauso verschmelzen wie unterschiedliche Genres. Ihm zur Seite steht der Kammerchor der Musikhochschule Detmold, ca. 30 Studentinnen und Studenten aus verschiedenen Studiengängen. Seit zwei Jahren leitet Anne Kohler das Ensemble, das bei aller Professionalität dieselben Probleme hat wie jeder Schulchor, nämlich die ständige Fluktuation.

Der Saal ist gut gefüllt, das Interesse für die „Meister der melancholischen Melodie“, wie sich Edvard Grieg einst selbst bezeichnete, ist groß. Zu Beginn singt der Chor ein romantisches Marienlied des dänischen Komponisten Peter Erasmus Lange-Müller, „Madonna over Bølgerne“, op.65/2, in Originalsprache. Es fällt auf, wie wunderbar sanglich die nordischen Sprachen sind, vokalbetont, viele Umlaute, Silben wie „sjä“, die ohne Zutun einen natürlich hellen Stimmklang ergeben – ein Genuss für Sänger und Hörer! Großer Beifall für diesen stimmungsvollen Einstieg.

An dieser Stelle meldet sich aus dem Publikum ein junger sympathischer Chorleiter aus Dänemark zu Wort und gibt noch zwei Tipps zur Aussprache. Der Chor zückt willig die Bleistifte.

Nun stellt Eriksson eine zentrale Philosophie seiner Arbeit vor: „Sing free from conductor!“ Vom Jazz inspiriert, sucht er den gemeinsamen Puls im Ensemble, das Gefühl für den Atem der Melodie. Mit minimalen Bewegungen und etwas schneller dirigiert er das Stück noch einmal. Dank der guten Vorarbeit von Anne Kohler klappt es auswendig und klingt tatsächlich präsenter und inniger.
Ganz andere kompositorische Wege beschreitet der Zeitgenosse Per Nørgård (geb.1932). In früher Kindheit geprägt von den Geräuschen aus der väterlichen Uhrmacherwerkstatt, vernetzt er rhythmische Formeln in verschiedenen Geschwindigkeiten mit einfachen melodischen Elementen nach dem Prinzip der Unendlichkeitsreihe.

Anne Kohler und Gunnar Eriksson

 

 

 

 

 

 

 

Gunnar Eriksson hat aus dem Zyklus „Wie ein Kind“ nach Gedichten von Adolph Wölfli und Rainer Maria Rilke das erste Stück, „Wiigen-Lied“ ausgewählt. Anfangs erklingen nur Silben, die durch die verdoppelten Anfangskonsonanten quasi „stottern“ (gganggali, kingang, ggung), darüber dramatische Soloeinwürfe einer Frauen-und einer Männerstimme. Später tritt der deutsche Text von Wölfli hinzu, Zeilen wie „…beliebig fasst uns der Kummer…“ schweben als Melodiefetzen im Raum.

Die „Wölfli“-Partitur von Per Nørgård

 

 

 

 

 

 

 

Wie Eriksson berichtet, hat die Begegnung mit dem schizophrenen Wölfli Per Nørgård zu düsteren Farben inspiriert und ihn in seiner Entwicklung zum bedeutendsten dänischen Komponisten der Gegenwart voran gebracht. Sein beliebtestes Werk für gemischten Chor ist „Winter Hymn“, Gunnar Eriksson legt es allen Chorleitern im Publikum ans Herz.

Danach dürfen die Hörer kreativ werden und nach dem Prinzip der „Schule der neuen Einfachheit“ ein Stück komponieren. Drei Gruppen artikulieren denselben Text „Ein Blatt zittert am Baum“, die erste Gruppe flüstert, die zweite spricht laut in einem langsameren Tempo, die dritte Gruppe singt den Text auf einem Ton. Das Ergebnis ist befriedigend.

Nun wagt sich der Chor an ein doppelchöriges „Ave Maria“ des schwedischen Komponisten Sven- David Sandström (geb. 1942), und Anne Kohler gesteht, dass alle damit an ihre Leistungsgrenze stoßen. Das 8minütige Werk beeindruckt durch komplizierte rhythmische Patterns, sich überlagernde Textrepetitionen, Verfremdungseffekte wie Zittern oder Meckern auf einem Ton, romantische Akkordschichtungen und einen dynamischen Ambitus vom Summen bis zum vierfachen Forte. Eriksson zeigt auf, dass die Musik den Text nicht umsetzt oder ausdeutet, sondern quasi als absolute Musik für sich allein steht. Sie könnte genauso mit einem anderen Text unterlegt oder instrumental interpretiert werden. Allgemein kann man sagen, dass viele junge skandinavische Komponisten auch wieder romantische, jazzige oder volksliedhafte Elemente in ihre Musik aufnehmen und sich damit vom Purismus beispielsweise der Zwölftonmusik abwenden.

Ein schönes Beispiel hierfür ist das eigene Arrangement von Gunnar Eriksson, mit dem der inspirierende Workshop endet, ebenfalls ein Marienlied, „Kristallen en fina“, in dem der ungeborene Jesus als Edelstein unter dem Herzen der Jungfrau dargestellt wird.
Eriksson kombiniert die schwedische Weise mit dem Choral „Nun komm, der Heiden Heiland“, den er in die Bassstimme legt, und mit einem gregorianischen Hymnus „Christe lux es“. Beim ersten Höreindruck entstehen romantische Harmonien, das Marienlied ist im Vordergrund. Nun gruppiert Eriksson den Chor quadrophonisch im Raum, jede Stimme an einer Wand. Der Effekt ist unglaublich: man hört alle Melodien, jede in ihrem eigenen Tempo, und die Harmonien ergeben sich fast zufällig. Mit diesem schwebend- durchsichtigen Klangerlebnis verabschieden sich der hervorragende und mit voller Begeisterung singende Detmolder Chor und der faszinierende Vollblutmusiker Gunnar Eriksson.

Man darf gespannt sein auf den Workshop am Samstag, 24.9.2011 um 10 Uhr, wo dieselbe Besetzung Lieder von Wolf  Biermann interpretieren wird.

Ein Beispiel finden Sie im Chorbuch („Ermutigung“), allerdings nicht wie angegeben auf Seite 70, sondern auf Seite 74!

Sabine Eberspächer

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 23. Sep 2011, Chorfeste, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

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