Chorleben - S-Chorverband

Eine der elementarsten und wichtigsten Musikerfahrungen

bettina-pahnfoto-manfred-esser.jpg Foto: Manfred Esser

Bettina Pahn, eine außergewöhnliche Sängerin, die soeben die schönste Volksliedeinspielung seit Fritz Wunderlich vorgelegt hat, über das Volkslied

SINGEN: Volkslied, warum Volkslied? Viele Volkslieder sind untergegangen, viele geblieben. Ist das romantische Volkslied noch ein Volkslied heute, oder eher das „Kunstlied“ der Gattung Volkslied? Was bedeutet Volkslied für Sie?

Bettina Pahn: Lassen Sie mich Ihre Fragen von hinten beantworten. Für mich bedeutet das Volkslied einer der wichtigsten und elementarsten Musikerfahrungen, die meine Kindheit und Jugend geprägt haben. Sie sind ein großer Schatz unserer Kultur. Fast jedes dieser Lieder hat tatsächlich sowohl einen Textdichter als auch einen Komponisten für die Melodie. In der romantischen Zeit sind einige wenige Lieder, die eigentlich „Kunstlieder“ waren zu Volksliedern geworden, weil sie vom Volk aufgenommen, umgestaltet und gesungen wurden.

SINGEN: Produziert auch unsere Zeit Volkslieder, oder haben die Massenmedien automatisch aus jedem Schlager ein „Volkslied“ gemacht? Wie wird ein Lied überhaupt zum Volkslied?

Bettina Pahn: Ich bin keine Volksliedforscherin und kenne mich daher mit dem aktuellen Forschungstand nicht aus, aber meiner Meinung nach wird aus einem Schlager kein Volkslied, denn der Schlager ist viel zu kurzlebig. Allerdings gab es in der anglo- amerikanischen Folksong-Bewegung Anregungen, die zu neuen Volksliedern auch in Deutschland führten. Grundlage für diese Bewegung war eine Sammlung von „Deutschen Volksliedern Demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“ von Wolfgang Steinitz aus der DDR.

SINGEN: Es gibt kaum eine Liedgattung, die sängerisch schwerer zu bewältigen ist als das Volkslied. Deswegen findet man – von Ausnahmekünstlern wie Fritz Wunderlich mal abgesehen – kaum Sänger, die in der Lage sind, ein Volkslied ohne falsches Pathos, ohne Manierismen zu singen.  Ihnen gelingt das so traumwandlerisch sicher, das sich die Frage stellt: Ist das nun eine Sache der Gesangstechnik oder der Persönlichkeit?

Bettina Pahn: Ich glaube, dass man grundsätzlich Persönlichkeit und Gesangstechnik nicht voneinander trennen sollte, denn es sind die vielfältigen Erfahrungen und seelischen Erlebnisse, die den Umgang mit der Stimme entscheidend prägen.  Für mich persönlich sind die Volkslieder ein Kernpunkt meiner musikalischen Sprache, da sie, wie kein anderes Repertoire, in der Tiefe meines Herzens verwurzelt sind. Verbinde ich doch mit ihnen die glücklichsten Momente meiner Kindheit. Auf vielen Reisen im Trabbi von Rostock nach Ungarn sangen wir mehrstimmig eine Vielzahl der Volkslieder. Auch in der Schule war das Singen der Volkslieder selbstverständlich. Eine andere Entwicklung gab es leider in Westdeutschland, wo die Volkslieder insbesondere durch die Schriften von Adorno verpönt wurden.

SINGEN: Im Opernfach haben Sie auch mehrere Rollen in Barockopern gesungen. Können Sie für Laien, die wir in einem Laienchorverband nun mal sind, ganz kurz den Unterschied zur Gesangstechnik in der klassisch-romantischen Oper erklären. Liegt diese Art zu singen näher am Volkslied?

Bettina Pahn: Ich erwähnte vorhin, dass es durch die unterschiedlichen Arten von Menschen notwendig auch unterschiedlichste Stimmanlagen geben muß. Meine Stimme eignet sich besonders für die barocke Oper, weil sie klar, beweglich und eher leicht ist. Für das klassisch-romantische Fach sind hingegen Stimmen besonders gut geeignet, die über ein größeres Volumen verfügen. Für das Singen von Volksliedern ist die Klarheit der Sprache und eine möglichst natürliche Stimmführung wichtig. Nicht die Sangeskunst des ausgebildeten Sängers darf im Vordergrund stehen, sondern die Melodie in ihrer reinen Schlichtheit. Hierdurch allein ist schon der große Unterschied zur Oper überhaupt definiert, denn dort kommt es ja gerade auf die höchste Kunstfertigkeit der virtuosen, ausgebildeten Stimme an.

SINGEN: Gesang und Laute – klassischer geht es nicht beim romantischen Volkslied. Welche Wirkung übt das Begleitinstrument auf die Stimme aus? Ich stelle mir vor, dass die Gefahr, die Natürlichkeit zu verlieren, bei einem Streicherteppich im Background viel größer wäre.

Bettina Pahn: Ich finde die Laute ideal zum Begleiten dieser wunderschönen Lieder, weil sie selbst schon den altehrwürdigen Ton früherer Zeiten in sich trägt. Sie unterstützt die klare und schlichte Interpretation. In den Sätzen für die Laute hat mein Begleiter, Joachim Held, wie ich finde, besonders schön die verschiedenen Stimmungen und Farben der verschiedenen Strophen ausgeformt und damit rückt der Text mit in den Vordergrund.  Für mich verbindet sich mit dem Volkslied auf keinen Fall eine „Aufpeppung“ durch einen Streicherapparat und scheint mir geradezu wider den eigentlichen Geist dieser Musik zu sein, denn es war doch vorrangig Hausmusik.

SINGEN: Gibt es irgendein Detail, wo sie sagen würden: „Da merkt man meine Instrumentalausbildung als Cellistin“, mit der Sie ihr Musikstudium ja begonnen haben? Das Cello, der Tenor der Instrumente, das romantischste aller Streichinstrumente…

Bettina Pahn: Die Grundlage als Instrumentalistin gibt mir beim Erarbeiten und Singen einfach etwas mehr Klarheit über die Instrumentalsätze, die zu den Liedern geschrieben wurden. Sicher ist das Cello ein wichtiges Instrument in der Romantik, da es dem Ausdrucksspektrum der Stimme besonders nah ist. Allerdings sind viele Volkslieder deutlich vor der Romantik entstanden, gab es doch schon im 11. Jhdt. die ersten aufgezeichneten Lieder .

SINGEN: Zusätzlich zu Ihrer Konzerttätigkeit sind Sie inzwischen auch als Gesangspädagogin tätig. Man sagt, dass man von seinen Schülern mindestens ebenso viel lernt wie von seinen Lehrern. Ist da was dran, und was?

Bettina Pahn: Es ist ein wunderbarer Aspekt beim Unterrichten. Man kann nicht nur den Schülern etwas geben, sondern lernt gleichzeitig so ungeheuer viel über das Singen, dass es eine rechte Freude ist. 

SINGEN: Das Schwerpunktthema unseres Heftes ist Frauenchor, Stimmbildung für Frauen, Frauenpower in den Vereinen. Kleiner Tipp der Pädagogin zum Schluss: Was tun, wenn die Angst einer Sopranistin vor dem hohen Ton größer ist als die tatsächliche Tonhöhe?

Bettina Pahn: In meiner Arbeit als Stimmbildnerin des Chores an St. Michaelis in Hamburg bin ich dieser Frage oft begegnet. Auch hier gibt es wirklich eine Vielzahl von möglichen Ursachen, so dass ich es mir nicht anmaßen möchte, hier Allheilmittel zu empfehlen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, das Angst oft einher geht mit Unbeweglichkeit in Atem und Stimmapparat. Diese Verspannung kann oft durch entsprechende bewusste Bewegungen verringert werden und im Ernstfall eines Konzertes hilft schon das  Denken an diese Bewegungen . Das Wissen um die Funktion des Atems, des Körpers und des Stimmapparates kann aus meinen eigenen Erfahrungen als Sängerin und meiner Lehrtätigkeit viele Probleme lösen.

volkslied-cd-hanssler.jpg Bettina Pahn, Sopran – Joachim Held, Laute

Die CD des Monats:

Deutsche Volkslieder: Das Lieben bringt groß Freud
Bettina Pahn, Sopran – Joachim Held, Laute
CD 18,95 €  Haenssler-CLASSIC

Nein, schöner kann man Volkslieder kaum singen, wenn es denn überhaupt so etwas wie eine „authentische Wiedergabe“ von Volksliedern geben sollte. 21 Volkslieder, begleitet auf  der Laute, dazwischen vier Instrumentalintermezzi. Das Begleitinstrument Laute erweist sich als Glücksfall, weil ihm falsche Emotionen fremd sind und üppige Modulationen erst gar nicht zur Debatte stehen. Joachim Held begleitet mit sehr viel Einfühlungsvermögen, stellt alle virtuosen Aspekte zurück und dient allein dem einen Ziel, den Charakter der Texte und Melodien nicht zu verfälschen und Bettina Pahns Stimme den harmonischen und rhythmisch flexiblen Rahmen zu einer freien Gestaltung zu geben.

Bettina Pahns Sopranstimme spricht in jeder Tonhöhe, jeder dynamischen Schattierung und klanglichen Färbung gleichermaßen ausdrucksstark an. Dieser Ausdruck erwächst aus einer Natürlichkeit frei jeglicher Manierismen, die z.B. Hermann Preys Volksliedinterpretationen immer wieder „befallen“ haben. Vielleicht ist das eine der Besonderheiten des echten Volksliedes, dass es im Gegensatz zur Opernarie keiner Gestaltungseffekte bedarf, weil es so sehr Einheit von Text und Musik ist, dass die einzige Schwierigkeit der solistischen Wiedergabe darin besteht, diese Einheit nicht aufzulösen. Bettina Pahn nimmt sich folgerichtig als Künstlerin völlig zurück und beweist gerade dadurch ihre großes Können. Die Lieder bleiben Volkslieder trotz perfektem Belcanto, trotz künstlerischem Gestaltungswillen. In der Musik ist es wie in der Wissenschaft: Am schwierigsten ist es, „einfach“ und verständlich zu bleiben. Wolfgang Layer

Archivnutzer_SingenundStimme_Blog, 12. Feb 2008, Singen und Stimme, Kommentare per Feed RSS 2.0,Kommentare geschlossen.

©2022 - Chorleben - Weblog des Schwäbischen Chorverbandes, Eisenbahnstr. 59, 73207 Plochingen, Tel: 07153 92816-60Die Seite für alle Sänger und Sängerinnen - Chöre, Chorvereine, Chorverbände - Kontakt - Impressum - AGB - Datenschutz Projekt: agentur einfachpersönlich